Das Glück / Fortuna

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Das Glück / Fortuna

Filmstill aus „Zweimal Fortuna“. Für die Sammlung *Kluge/Thiede, Im Dialog*, 2023.

Allegorie von Leonardo Da Vinci aus dem Bilderatlas. Der allegorische Wolf am Steuer eines Segelschiffs ist dem Adler, der den Erdball umkrallt, gegenübergesetzt. Der Mastbaum des Seglers ist nicht totes Holz, sondern ein lebender Baum, in dem sich der Wind ebenso verfängt wie im geblähten Segel. Die Allegorie hat einen politischen Subtext, der zeitgenössisch ist. Ikonologisch trägt das Bild die Bezeichnung „Fortuna“.

Embleme der Fortuna

Im Bilderatlas (und weitergreifend bei Benjamin und in der Ikonographie überhaupt) ist die Vorstellung des Glücks und seiner Schutzgöttin mit dem Begriff „mit glücklichem Wind“ verknüpft. So wie besungen in Mozarts Così fan tutte. Auch von Rudolf Borchardt in Manon, dem Lieblingsgedicht von Th. W. Adorno, das in dem Kommentarfilm zu Panel 57 enthalten ist. In dem Film „Fortuna mit einem Fuß auf der Ruderpinne“ ist ein weiteres Emblem der Fortuna im Bilderatlas kommentiert. Die Figur steht auf einem sinkenden Boot und hat einen Fuß auf dem Ruder des bereits untergehenden Schiffs gesetzt, um „noch im letzten Moment zu steuern“. Von dort bis zum Tarot und dem Kartenglück, der Glückskarte und der Todeskarte, ist es nicht weit. Der mit dem Kopf nach unten aufgehängte Mussolini im Jahre 1945, neben der an der gleichen Tankstelle hängenden Geliebten Clara Petacci führen – jetzt nicht im Bilderatlas, aber in dessen notwendiger Fortsetzung – zu dem mit Kopf zum Erdzentrum Aufgehängten auf den Tarotkarten.

Ein ganz anderes Emblem, das aber dieselben Ungleichgewichte im Glücksbegriff bezeichnet, ist das „Wheel of Fortune“, das Glücksrad, im Bilderatlas immer erneut variiert. Der „Denkraum“, das „dialektische Bild“, der „Zwischenraum“, der die Bilder im Bilderatlas, aber auch bei dem Erzähler Wirklichkeit, aktuelle und mögliche Bilder, Vorstellungsvermögen und Realität, verknüpft, ist allein sprachlich nicht wiederzugeben. Er ist aber auch nicht allein Sache der Bilder. Faktisch müsste man jedes Emblem, aber auch jede aktuelle Beobachtung durch mehrere sprachliche und ikonografische Prismen hindurchleiten. Wie durch das Auge einer Libelle, um es dann mit der völlig anderen Fokussierung des menschlich erzählenden Auges wieder zusammenzufassen. Erst in einem solchen „permanent arbeitenden Laboratorium der Erfahrung“ würde man dem Ansatz des Bilderatlas gerecht.

Isis Pelagia, im Bilderatlas zum Thema Fortuna konstellierte Medaille, spielt an auf die Nilfahrt des beliebten Adoptivkaisers Hadrian. Bei seinem Tod wurde die Engelsburg in Rom, die heute zum Vatikan gehört, als ein Grabmal errichtet. Er liebte einen jungen Freigelassenen mehr als sein Leben. In der Umgebung des Kaisers existierte eine Verschwörung, die diesen Liebling des Kaisers umbrachte und am Grunde des Nils als Leiche verankerte. So viel der Kaiser forschte, der Tote wurde nicht gefunden. So war der Mächtigste im Reich nicht in der Lage, das Liebste, was er hatte, zu schützen.

Diesen Fatalismus des Glücks, die „Ohnmacht der Mächtigsten“ hat die Medaille zum Thema. Im üblichen Duktus nimmt sie die Segel und Fortuna als Betreiberin der Windkraft als Emblem.

Panel 70, Picture 8

Ship of Fortune / Rembrandt, 1634

In dem Originalbild von Rembrandt ist ein Januskopf zu sehen. Im obigen Bild ist der Ausschnitt aus dem Original mit virtueller Kamera (K.I.) transponiert. Das Bild und der verkleinerte Originalausschnitt rechts unten haben dieselbe Vorlage.

„Fortuna wie ein totes Pferd“

Rembrandt konstelliert und Aby Warburg installiert ganz heterogene, miteinander zunächst unverbundene Embleme. „Fortuna wie ein totes Pferd“. Der Reiter –nach Sigmund Freud das Ich, das auf einem durchgehenden Pferd reitet, es nicht lenken kann und doch als Reiter gilt – ist auf das, was es vermag zurückverwiesen. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. „Ich weiß, wie ohnmächtig ich bin, dennoch setze ich mich in Bewegung“. Ein Reiter, dessen Pferd stürzt oder gestürzt daliegt. Im Bilderatlas gibt es an anderer Stelle auch das Bild eines stürzenden Reiters in einem Gewitter. Hier im Bild links bei Rembrandt ist ein offenbar bürgerlich etablierter Mensch mit seinem Pferd gestürzt. Es gibt auch das „zu Tode gerittene Glück“. Ein Glücksmoment, von einem Menschen erhascht, aber als Reiter schlecht geritten.

er „digitale Janus-Kopf“. Das ist das Gerät, das als K.I. mit dem künftigen Menschen wie ein Rabe den Dialog eröffnet

Die Wandergeschichte vom Blick eines jungen Menschen in die Zukunft und vom Blick eines Alten in die Vergangenheit ist seit römischen Darstellungen von Seneca üblich. Tatsächlich gibt es kein Subjekt, das von der Wurzel seiner Wahrnehmung her gleichzeitig in die Vergangenheiten und in die Zukünfte hineinsieht. Der Seher in Troja und dessen zukunftsahnende Tochter Cassandra berichten von Erfahrungen, zu denen ihm die Trojaner nicht folgen. Wie eine Spielkarte im Tarot Todes- und Glückskarte gleichzeitig sein kann, so wie die Nymphe – italienisch Ninfa – Todesbotin und Engel sein kann, was der wahren Natur der Engel nach Aby Warburg nahekommt, geben nur beide Seiten des Gegensatzes eine Wirklichkeit her.

Mit jedem neugeborenen Kind gelangt ein neues Licht in die Wirklichkeiten. Der Januskopf ist also real und er ist zugleich – so Rembrandt – so unberechenbar wie das Glück.

Schwarze Segel

In der Antike setzt eine heimkehrende Flotte, die unwiederbringliche Tote beherbergt, schwarze Segel. Der Held Theseus – soeben hat er den Minotaurus umgebracht, er neigt zur Gewalt, – setzt bei Heimkehr nach Athen SCHWARZE SEGEL. Sein Vater, der König, der diese Segel sieht, bringt sich um. So kann Theseus das Thronerbe sofort nach Heimkehr antreten. Theseus, Vertrauensmann der Athenen, ist ein „tückischer Held“.

Noch das Tote wird vergewaltigt …

Schlimmer als der Mord an einem Lebewesen ist die Auslöschung an dessen Erinnerung. Rembrandts Bild versammelt mehrere Formen des Unglücks, des Anti-Glücks (= die Sabotage eines Glücks, das kein Glück bringen wird) des bürgerlichen oder geschäftlichen Absturzes und Aspekte der Zukunft. Würden je die menschlichen Gehirne mit Aggregaten der K.I. so verknüpft, dass die Spiegelung aller menschlichen bisherigen Intelligenz und ihrer Antriebe einige grausame Aspekte ihrer aktuellen Anwendung tilgt oder umlenkt, könnte es sich aus SELBSTREGULATION eine REPUBLIK DES MENSCHLICHEN GEISTES ergeben, die die ungewissen und eher desaströsen Bahnungen des Glücks modifiziert. FORTUNA RENATURATA. In der Ikonographie ist das als Bildereignis selten.