Grundfragen des Kriegs

Transkript: Grundfragen des Kriegs

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GRUNDFRAGEN DES KRIEGES / Wie endet Krieg?
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Oskar Negt berichtet
Alexander Kluge
Ein Mensch wird tödlich beleidigt. Er erwidert das, indem er jemand anders in die Fresse haut. Dies wäre eine normale, auf der Stelle erwiderte Beleidigung. Das ist übrigens straflos. Und das kann ich als US-Präsident nicht wiederholen. Und als Pilot in einer hochtechnisierten Maschine mit dem Knopf, der die Waffensysteme auslöst vom Daumen, kann ich das auch nicht wiederholen. Wie verhält sich ein Mensch, wenn er zwischen zwei so extremen Wirklichkeiten - der unmittelbaren im Leben und derjenigen an der zusammengesetztesten Stelle der Kriegsmittel - wenn er das gleichzeitig macht.
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G.W. Bush
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Prof. Dr. Oskar Negt, Philosoph
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Immanuel Kant (1724-1804)
Oskar Negt
Naja, das ist eine Frage auch der Kompetenz für die Tätigkeit, in der er sich bewegt. Ich glaube, das muss man lernen. Das ist keine Naturausstattung des Menschen, sondern die Elemente, die im Spiel sind, wenn ich als Präsident eine Rolle übernehme, die mit solchen Potenzialen und mit solcher Macht ausgestattet ist, dann glaube ich, ist es sehr wichtig, die vortechnischen Zivilisationspraktiken im zwischenmenschlichen Umgang, die auch solche kriegerischen Regeln mit enthalten, etwas zu neutralisieren und zu kontrollieren. Und ich glaube, das ist definiert wirklich, das was heute ein konkretisierter Begriff des Krieges ist, dass die Widersprüche in einem Spannungsverhältnis bestehen wie natürlich nie zuvor in der Welt. Also hochtechnisierte Vernichtungspotenziale, cruise missiles, die also die Landschaften abtasten und die Ziele suchen, also eine hohe Computertechnologie, die …
Kluge
… an der Grenze zur Intelligenz ist.
Negt
Ja, an der Grenze zur Intelligenz sind und vielleicht sogar täuschungsunanfälliger sind als die menschliche Intelligenz. Also das heißt, eine hohe Stufe der technologischen Zerstörungspotenziale, die natürlich auch in friedlichen Produktionen eingebunden sind - Computertechnologie ist ja nicht nur ein Bestandteil dieser Kriegstechnologie - und auf der anderen Seite in der Tat sieht man, dass bestimmte kriegerische Ereignisse oder Bestrafungsaktionen eben damit zu tun haben, dass die Menschen eben sich in Höhlen aufhalten, sich verstecken, also genauso wie eben in Zeiten früherer Kriege …
Kluge
Hunger haben, Durst haben …
Negt
Hunger haben, Durst haben, Not leiden, flüchten, fliehen in Massen …
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Irrfahrt des Odysseus
Kluge
Also in der “Dialektik der Aufklärung” gibt es ein zentrales Kapitel. Das ist das erste, das die Irrfahrten des Odysseus beschreibt als sozusagen die Irrfahrt, die die Menschheit mit der Aufklärung hinter sich hat beziehungsweise noch vor sich hat. Daher Dialektik der Aufklärung. Und jetzt gibt es ein Bild, das zentral ist.
Negt
Also das Bild dieses an den Mastbaum gefesselten, sich selbst fesselnden Odysseus, der um seine Identität und Individualität nicht zu verlieren, aber gleichzeitig also den Sirenen zuhören zu können, die die Menschen locken, in ihre Machtgefilde locken und auch zerstören, hat er den Gefährten Wachs in die Ohren gestopft, damit sie diesen Sirenen nicht folgen, er es aber genießen kann. Sich selbst hat er gehindert, dass er sich da loslöst von diesem Mastbaum. Mit anderen Worten, er tut sich Gewalt an. Das ist die Botschaft, er tut sich Gewalt an, um seine eigene Identität zu bewahren und dennoch zu genießen.
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Das Bett des ODYSSEUS
Kluge
Jetzt gibt es aber eine zweite Geschichte bei demselben Homer in derselben Odyssee, die anders klingt. Also die Penelope erkennt ihn daran, dass er weiß, dass sein Bett unverrückbar in einen Olivenbaum hineingezimmert ist, einen lebendigen Baum. Deswegen kann keiner das Bett verrücken. Das heißt, die Stelle, wohin der Odysseus 20 Jahre lang zurück will, das kann keiner verrücken. Das ist eine andere Charakterisierung von Identität.
Negt
Von Identität. Es ist eine räumliche Identität. Also ich glaube, dass diese Bewahrung von Fähigkeiten räumlicher Identität - das gilt ja dann noch einmal dafür, dass er durch eine Vielzahl von solchen Waffen schießen kann …
Kluge
Die Befreier töten die Besatzer.
Negt
Als Erkennungsmerkmal für Odysseus …
Kluge
Aber die Frau erkennt ihn deswegen noch nicht. Und das Wiedererkennen jetzt, das ist der Preis und der Tausch für Identität. Das ist etwas Interessantes. Es ist also nicht so, dass er nur den Wunsch hat, wieder in seine Kuschelecke zurückzukommen. Sondern das verbindet ihn mit einem anderen Menschen, der ihm treu ist.
Negt
Wiedererkennen, ja. Das ist eine Identität also in der Form von gegenseitiger Anerkennung, die sehr tief sitzt. Das ist eigentlich der erweiterte Begriff von Identität. Der ist nicht auf das Individuum nur bezogen, sondern bezieht den anderen mit ein.
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Prof. Dr. Oskar Negt, Philosoph
Kluge
Das ist die elementare Grundform, Kriege zu beenden. Da ist der trojanische Krieg zu Ende für ihn. Vorher ist er nicht zu Ende, sondern ist nur die Geschichte einer missglückenden Heimkehr.
Negt
Das ist richtig. Erst in dem Augenblick, in dem gleichsam die ursprüngliche Friedensgesellschaft, in der er aufgewachsen ist oder die zu ihm gehört, in die er zurückkehrt - erst damit ist eigentlich der trojanische Krieg beendet. Das heißt also, Wiederherstellung des Friedens bedeutet immer auch Wiederherstellung der raum-zeitlichen Verhältnisse, in denen ich ja meine Wurzeln geschlagen habe, in denen ich also groß geworden bin. Es ist es ja auch eine mit vielen Formen der Wiedererkennung verknüpfte Wiederkehr von Odysseus.
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KRIEG & ARBEIT / Kriegsarbeit
Kluge
Wenn du den Begriff Arbeit und den Begriff Krieg einmal nimmst. Wie verhalten sie sich zueinander? An sich wird ja auch im Krieg gearbeitet. Aber es wird im Sinne einer Zerstörung etwas gearbeitet.
Negt
Und selbst wenn es nicht im Sinne der Zerstörung gearbeitet wird, dann ist doch die Umgebung also eines solchen Produktionsprozesses immer aufs höchste gefährdet. Ich glaube, dass es im Grunde Gegenbegriffe sind, Arbeit und Krieg, so dass eigentlich das, was nachhaltig ist an der Arbeit, also das Wiedererkennen in den Objekten, ein Stück von mir ist in den Objekten. Ich verändere mich, indem ich mich wiedererkenne.
Kluge
Ich ziehe mein Selbstbewusstsein aus dem Produkt. Und das Produkt können auch die anderen sein, mit denen ich zusammenarbeite.
Negt
Die anderen sein, und es entstehen Formen der Anerkennung, die über mein Subjekt hinaus …
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Penelope
Kluge
Die Frau, die 20 Jahre das Haus hier instandgehalten hat, Penelope, die stellt mich wieder her als Heimkehrer.
Negt
So ist das. Und es ist ja nicht zufällig, dass sie an einem solchen Gewebe arbeitet, um die Zeit der Rückkehr zu überbrücken. Das heißt, für mich ist eben dieses Verhältnis von Arbeit -und menschlicher Würde - so habe ich ja auch mein neues Buch genannt - ein Beziehungsgeflecht der Anerkennung, auch der Selbstanerkennung des Menschen. Ich glaube, dass also gerade bei Kant Anerkennung durch andere und anderer mit der Selbstanerkennung, der Selbstachtung zu tun hat.
Kluge
Was heißt “der andere” bei Kant? Wie formuliert er das?
Negt
Die Achtung, sagt er, der Menschheit in meiner Person. Würde ist das, was den Menschen von den Tieren unterscheidet. Alles hat einen Wert beziehungsweise Preis, nur der Mensch hat eine Würde.
Kluge
Das heißt, es ist also in der Arbeit eines Menschen immer ein Stück enthalten, das nicht bezahlt sein kann.
Negt
So ist es. Und auch nicht tauschbar ist. Selbst die Produktion für Tauschwerte enthält ein Element, das nicht tauschbar ist.
Kluge
So dass also gewissermaßen der gute Wille zweimal vorkommt, in Form von skill innerhalb der bezahlten Lebensarbeit, und andererseits nochmals in dem guten Willen, der überschüssig ist.
Negt
Der überschüssig ist, und der dann auch von den anderen anerkannt wird als guter Wille.
Kluge
In beiden steckt Gemeinwesenarbeit, also der Rohstoff, aus dem Verfassungen, Gemeinwesen, Zusammenleben entsteht, also auch Friedensschluss entsteht.
Negt
So ist es. Ich glaube, dass also eben Wiederherstellung oder Herstellung von Frieden in unserer Welt fundamental etwas damit zu tun hat, dass die Menschen von der Arbeit leben, die des Preises würdig ist, also nicht einfach umsonst Sklavenarbeit, sondern bezahlte Arbeit - aber dass sie sich eben in ihrer Arbeit auch als ein Stück von sich selbst wiedererkennen. Das heißt, nicht jede Arbeit, nicht jede Arbeit ist identitätsstiftend, sondern nur die Arbeit, die den Menschen spiegeln, dass sie notwendig sind, dass sie gebraucht werden, dass sie wahrgenommen werden eben als autonom produzierende und etwas gestaltende Menschen. Das ist ein wesentliches Element der Friedenssicherung. Deshalb, die Zerstörung von Arbeitszusammenhängen ist immer die Grundlage für Aggression und Auswege, die auch kriegerisch sein können.
Kluge
Die Bibel für diese “Dialektik der Aufklärung” bleibt die Odyssee, aber in allen ihren Aspekten, in allen ihren einzelnen Geschichten, nicht nur in der einen vom gefesselten Odysseus.
Negt
Sondern auch eben in der Genussfähigkeit, der Herstellung von Genussfähigkeit und …
Kluge
Wiedererkennung. Dadurch, dass irgendetwas im Leben unverrückbar ist, auch wenn ich 20 Jahre weg bin in der Fremde.
Negt
Ja, darauf beharrt Kant eben, dass Würde der Teil des Menschen ist oder das Zentrum des Menschen, das unaustauschbar ist.
Kluge
Das ist der Olivenbaum, den hat der Odysseus in seiner Jugendzeit, die hat er ja auch verloren durch diesen Ausflug nach Troja, in seiner Jugendzeit hat er das gezimmert in einen wirklichen Baum hinein, und es ist ein Verhältnis zwischen etwas Lebendigem und sich selbst als etwas Lebendigem.
Negt
Und das ist doch ein schönes Zeichen dafür, dass also diese Subjekt-Objekt-Dialektik, wie Hegel das nennen würde, in der Tat auf der Ebene dieser Wiedererkennung bedeutet, dass eigentlich jetzt erst so ein Friedenszustand zustande gekommen ist.
Kluge
Und dieser Zustand, der für das krumme Holz Mensch nicht immer leicht zu erreichen ist, der ist ein Antikriegsmittel und er ist gleichzeitig ein Mittel des Friedensschlusses.
Negt
Aus so krummem Holz, aus welchem der Mensch gezimmert wurde, ist nichts wirklich Gerades zu machen. Das heißt, der Mensch hat so etwas wie eine, auch gegen die Prinzipien und gegen die Moral wieder …
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GRUNDFRAGEN DES KRIEGES / Wie endet Krieg?
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Oskar Negt berichtete