Napoleon vor Madrid
Transkript: Napoleon vor Madrid
Napoleon vor Madrid
- Text
- Napoleon verkündet im eroberten Spanien die Freiheitsrechte / Die Antwort der konservativen Bevölkerung ist der Aufruhr / Das ist die Geburtsstunde des Partisanen / Carl Schmitt, Ahnvater der Neo-Konservativen in den USA, nimmt diese Situation vor Madrid zum Ausangangspunkt seiner Analyse des schärfsten Antagonisten der Ordnungsmacht / Oskar Negt, ein Theoretiker der Linken, berichtet - -
- Text
- NAPOLEON VOR MADRID / Oskar Negt über Carl Schmitt und die PARTISANEN
- Alexander Kluge
- Napoleon vor Madrid. Das ist ein Bild, das uns Carl Schmitt vorstellt in seiner Schrift über den Partisanen. Was ist da? Wie ist die Situation?
- Oskar Negt
- Naja, das ist eine Situation, in der formierte Heere aufeinander getroffen sind in einem ganz traditionellen Sinne mit Symbolen, Uniformen, und der entsprechenden Organisation, und die spanische Armee besiegt ist, und auch eine Übergabe erfolgt, die in diesem Sinne völlig normal ist …
- Kluge
- Sie kapitulieren.
- Negt
- … für zwischenstaatliche Kriege; und Napoleon offenkundig auch sehr zufrieden damit ist. Der hat diesen spanischen Kontinent jetzt erobert. Und nun tritt etwas auf, was zunächst für Napoleon selber erstaunlich ist. Seine Armee wird attackiert von Bauern und …
- Text
- Oskar Negt, Autor
- Kluge
- Nachts, aus dem Verborgenen …
- Negt
- Aus dem Hinterhalt. Also hat diese Armee, die sich in Spanien aufhält, mit Attacken, Angriffen zu tun, auf die sie gar nicht präpariert war. Weil der Feind ist nicht richtig erkennbar.
- Text
- Verkündung der Freiheitsrechte in Spanien
- Kluge
- Obwohl Napoleon vorher die Freiheitsrechte verkündet hat. Er hat das Ende der Leibeigenschaft den Bauern dekretiert.
- Negt
- Natürlich, ebenso den Code Civil eingeführt nach Spanien. Für ihn selber ist es ja wirklich erstaunlich, dass das nicht so akzeptiert wird von der gesamten Bevölkerung. Weil auch für diejenigen, auch für die Bauern ist da noch etwas an Freiheitsrechten drin.
- Kluge
- Europäische Zivilisation in ein mittelalterliches Land gebracht. Also so ähnlich wie meinetwegen man sagt, die Demokratie in den Irak.
- Text
- Desastre de la Guerra (Goya)
- Negt
- So ist es. Insofern ist das eine gesellschaftliche Situation, in der jetzt aus der Ohnmacht heraus gekämpft wird. Und zwar so, dass eben diese formierten Armeen, diese formierte Armee so irritiert ist, dass dieser Kampf sehr viel Kräfte bindet.
- Kluge
- Nachts töten die Partisanen die französischen Soldaten, die meist übrigens aus Westfalen stammen oder Italien oder woher. Und tagsüber werden wieder Partisanen als öffentliches Zeichen erschossen oder aber Leute, die man für Partisanen erklärt. Man braucht einfach jetzt hier Gegenterror.
- Negt
- Es beginnt die Phase der Repressalien. Entsprechend übermäßig sind die Repressalien. Das heißt, es werden Geiseln erschossen, eigentlich zum ersten Mal in so einem Kriegszusammenhang. Und das ist für Carl Schmitt der Anlass zu fragen, was ist ein gehegter Krieg? Wie, ein …
- Text
- Carl Schmitt (1888-1985)
- Kluge
- Ein professioneller Krieg, sozusagen.
- Negt
- Ja, professioneller Krieg. Hat es damit zu tun, dass der Soldat als justus hostis, als ein öffentlicher anerkannter Feind betrachtet wird? Dann muss er aber Uniform tragen und seine Waffen offen zeigen, wie er sagt. Und das ist ja gerade die Stärke der Partisanen, dass sie …
- Kluge
- … zu keiner Parade ziehen …
- Negt
- Dass sie keine Parade, und auch keine Uniformen tragen, und schon gar nicht ihre Waffen offen zeigen.
- Kluge
- Das sind Parteigänger. Partisanen heißt ja Parteigänger, und das tragen sie im Herzen.
- Negt
- Ihre Kampfesart ist eine der Verteidigung gegen einen Feind, der in ihre Lebensverhältnisse eindringt, wie immer auf vermittelte Weise. Diese Armee ist ja zunächst gar nicht so sehr auf dem Land. Sondern es geht auch um die Visierung der großen Städte. So wie im Russlandfeldzug der Marsch auf Moskau das Zentrale ist, und dann die Überraschung ist, dass …
- Kluge
- Die Entscheidung fällt auf dem Land, wo die Verbindungslinien liegen. Und diese Verbindungslinien werden unterbrochen.
- Negt
- Und da beginnt so etwas wie Terror von kleinen Gruppen, von Bauern …
- Kluge
- Und Gegenterror.
- Negt
- Und Gegenterror.
- Kluge
- Das vernichtet die Autorität Napoleons mehr als jede verlorene Schlacht,
- Negt
- Und insofern ist also Spanien der Anfang seines Untergangs, und nicht Preußen. Carl Schmitt sagt mit Recht, die preußische Armee ist auf Partisanen gar nicht eingestellt. Selbst die Rebellion gegen Napoleon hat immer noch offiziellen Charakter. Dieser Friedensschluss in Tauroggen ist eben noch die alte Form des Krieges.
- Kluge
- Hier kommt jetzt aber die Asymmetrie dadurch, dass wirkliche Menschen, die ich nicht finden kann, gegen eine markierte öffentliche Armee stehen. Und da kann die öffentliche Armee nur verlieren, wobei es auch so ist …
- Negt
- Aber der Partisan kann auch nicht gewinnen.
- Kluge
- Der kann auch nicht gewinnen. Es sind unentscheidbare Kämpfe
- Negt
- Und deshalb auch besonders blutige Kämpfe, weil gleichsam die Zielsetzungen auf beiden Seiten nicht Friedensschlüsse ermöglichen. Man kann nicht mit den Partisanen einen Friedensschluss machen, man kann nur Waffenstillstandsbedingungen aushandeln.
- Kluge
- Und warum ist das jetzt so anders bei dem Partisanen im chinesischen Bürgerkrieg gegen die Japaner, und sozusagen in Vietnam, wo der Partisanenbegriff jetzt eine ganz andere Farbe hat?
- Negt
- Es ist im Langen Marsch der Chinesen … Es ist ja nicht zufällig, dass Mao Tse-Tung zwar sich auf solche Partisanenverbände stützt, aber es entsteht eine Rote Armee, es entsteht eine Armee.
- Kluge
- Sie hat einen offiziellen, einen professionellen Kern.
- Negt
- Einen professionellen Kern, sie hat eine professionelle Organisation, sie hat professionelle Führer.
- Text
- Oskar Negt, Autor
- Kluge
- Und die Regel ist immer: Dadurch ist sie politisch erstens friedensschlussfähig und zweitens nicht unterdrückbar, dass sie Nachbarschaften hat. Also meinetwegen die Sowjetunion unterstützt es.
- Negt
- So ist es. Nachbarschaften. Und sie ist in dem Sinne verankert in der Bevölkerung. Der Lange Marsch und die chinesische Rote Armee lebt eigentlich … das Lebenselement ist die Bevölkerung. Und dadurch ist die Erweiterung des Territoriums, das sie besetzen, immer mit einer kollektiven Entwicklung von Recht und Disziplin verknüpft. Das heißt also, diese Gebiete, diese eroberten Gebiete werden konstituiert nach revolutionärem Recht, oder jedenfalls nach Rechten. Und es findet so etwas wie eine Gerichtsstruktur statt.
- Kluge
- Das heißt befreite Gebiete.
- Negt
- Befreite Gebiete.
- Kluge
- Und da kommt nicht nur die bewaffnete Macht an, sondern das ist sozusagen auch die Motivation für Gesetzgebung …
- Negt
- Gesetzgebung, Arbeitsprozesse werden gestützt und organisiert, und das ist natürlich in diesem Partisanengeflecht sowohl also 1812 in Russland gegen Napoleon wie auch in Spanien nicht der Fall. Sondern die verteidigen eigentlich nur die alten Orte und ihre Rechte. Sie sind konservativ.
- Kluge
- Und nachdem sie Napoleon veranlasst haben, sich zurückzuziehen aus Spanien, und der Krieg durch Dritte – Engländer und so weiter – entschieden ist, …
- Negt
- Werden die alten Mächte wieder …
- Kluge
- Sie können die befreiten Gebiete nicht halten. So dass man sagen kann, eine Entscheidung zugunsten der Partisanen gibt es, wenn die Macht aus den Gewehrläufen kommt, nicht. Aber wenn sie nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus den Herzen kommt, und eine neue Ordnung konstituiert …
- Negt
- Es müssen einfach da Befreiungsbedürfnisse sich dann auch auf die alten Strukturen des eigenen Landes richten, wenn sie sich befestigen sollen.
- Kluge
- In dem Sinne ist der Schwur, der Rütlischwur, und das Bündnis von Städten und Kantonen in der Schweiz gegen die Unterdrücker –
- Text
- Rütlischwur (1291)
- Negt
- Ist revolutionär, weil es bleibt, es wird etwas befestigt.
- Kluge
- Bis heute. Bis heute, und es wird sogar nicht-aggressiv neutral. Obwohl das zunächst einmal ein Land als eine Armee ist.
- Negt
- Es ist eine merkwürdige Entwicklung in der Schweiz. Da gibt es ja wirklich Partisanenhinweise. Die Schweiz lebt in ihrer Verteidigungskraft in der Tat von der Mobilisierung des Bauernpartisanen. Da gibt es detaillierte Hinweise, wie der Bauer sich verhalten soll. Das unterscheidet sich überhaupt nicht von dem spanischen Partisanen. Aber der Schweizer Partisan hat gewissermaßen eine Verfassung. Er ist ein freier Bauer. Das sind ja die spanischen Bauern nicht. Und deshalb ist der Befreiungsakt erfüllt, wenn der Feind nicht ins Land kommt. Sie verteidigen gewissermaßen schon eine freie Verfassung.
- Text
- Man spricht kaum noch von Partisanen
- Kluge
- Man spricht ja heute im 21. Jahrhundert kaum von Partisanen. Wenn du mal mit dem, was der Begriff enthält nach Carl Schmitt, einmal analysierst, was es heute für Bewegungen gibt.
- Negt
- Das Unterscheidungsvermögen darin ist verloren gegangen. Die Unterscheidung zwischen Guerillero, Partisan, Terrorist … Alles das ist subsumiert unter dem Begriff des Terroristen, und ich glaube, das ist sehr gefährlich. Weil Guerilleros und Partisanen eben doch ganz andere Bezüge in ihrem Kampfverhalten haben, und der Terrorist eigentlich auch kein Partisan im Sinne dieser spanischen und der russischen Partisanen ist.
- Kluge
- Weil er die Rückbindung in der Bevölkerung nicht hat. Und damit auch andere Gründe hat, viel abstraktere Gründe, und Kampfformen entwickeln kann …
- Negt
- Und ich meine, auch im Zweiten Weltkrieg. Carl Schmitt verweist ja auf den Zweiten Weltkrieg, auch auf das große Gewicht des Partisanenkampfes. Das trifft in gewisser Weise zu in Russland, und trotzdem ist dieser Partisanenkampf immer gekoppelt gewesen an eine konstituierte Armee. Das heißt also, die Rote Armee war am Ende doch der Sieger über Deutschland, und nicht die Partisanen, die Verkehrswege und Nachschubwege unterbrechen konnten, aber eigentlich eben auch kein Gelände erobern und befestigen konnten.
- Kluge
- Du sagst, der Unterschied ist – wir reden ja nur von historischen Begriffen – der Unterschied ist der Rückhalt in der Bevölkerung und die Verteidigung von etwas, was mit dem eigenen Raum, den eigenen geistigen Besitztümern, Vorstellungen, zusammenhängt. Und das wäre schon bei der Roten Armee Fraktion unterbrochen, teilweise unterbrochen. Der Partisan ist in dem Sinne nicht bloß stellvertretend tätig, stellvertretender Kämpfer, als er selber seinen eigenen Bereich verteidigt.
- Negt
- Und ich glaube, das unterscheidet den Partisanen alter Form – das sind ja nicht zufällig Bauernpartisanen, die alten, die ihre Scholle haben, oder ihren Bauernhof im Rücken, und den verteidigen.
- Kluge
- Im eigenen Land. Und dies wäre vom Bürgerkrieg wie zu unterscheiden?
- Negt
- Der Bürgerkrieg hat formierte Positionen. Das heißt, der Bürgerkrieg muss auch immer eine gewisse Parität haben im Umgang mit Gewalt und Macht. Es kann nicht eine Gruppe, eine Sekte …
- Text
- NAPOLEON VOR MADRID / Oskar Negt über Carl Schmitt und die Partisanen