Revolution ohne Pathos

Transkript: Revolution ohne Pathos

Revolution ohne Pathos

Text
Der Aufstand der Commune 1871 in Paris, die russische Revolution von 1905 und Arbeiterkämpfe in Turin sind der Stoff von Luigi Nogos schönster Oper „Unter der großen Sonne von Liebe beladen“ / Oskar Negt über Peter Konwitschnys legendäre Inszenierung dieses Werks an der Staatsoper Hannover - -
Text
REVOLUTION OHNE PATHOS / Oskar Negt über Nonos Revolutions-Oper „Al gran sole carico d’amore“
Text
Volk: In Erwägung, dass ihr uns dann eben/ Mit Gewehren und Kanonen droht / Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben / Mehr zu fürchten als den Tod
Alexander Kluge
„Al gran sole carico d’amore.“ Das hast du ja gesehen auch. Das handelt …
Oskar Negt
Naja, es ist eine Revolutionsoper. Es ist eigentlich eine Oper, die versucht, die Bruchstellen der Revolution, der Oktoberrevolution, weniger als der Revolution von 1905, festzuhalten, und … Frankreich 1871, Commune …
Kluge
Wird ja auch von Frauen gesehen. Ein Requiem auf den Untergang von Revolution, auf dem Hintergrund der Hingabe, mit der Frauen für die Revolution gekämpft haben.
Negt
Und ich habe diese Inszenierung von Peter Konwitschny begleitet und bin auch bei den ganzen Proben dabei gewesen, und habe auch mit Schauspielern darüber diskutiert. Und war doch sehr beeindruckt davon, dass überhaupt so eine Revolutionsoper heute noch auf die Bühne zu bringen ist.
Text
Oskar Negt, Philosoph
Kluge
Das waren ja stehende Ovationen.
Negt
Stehende Ovationen, und es war Jahres … beste Oper des Jahres in Hannover. Und das ist doch wesentlich auch der Verdienst von Peter Konwitschny, der im Grunde eine sehr sorgfältige Balance zwischen individueller Einzigartigkeit der Kämpfenden, die im Chor auftreten, und dem Allgemeinen versucht hat durchzuhalten.
Text
Peter Konwitschny
Kluge
Wirkliche Menschen, die sterben.
Negt
Wirkliche Menschen. Und das zeigte sich auch in den Probearbeiten, dass Peter Konwitschny sehr bedacht war, von diesen etwa 70 Leuten jeweils sie mit Namen zu benennen, also anzusprechen. Und dadurch ist eine ganz eindrucksvolle Kombination von Kollektiv und Individualität zustande gekommen.
Kluge
Mehr Tragik, und man hat manchmal den Eindruck, man sieht in die Wirklichkeit hinein.
Negt
Und das bedeutet natürlich jetzt bezogen auf die gescheiterten Ansätze, dass doch das grundlegend Humane der Pariser Commune und von 1905 und der Frauenbewegung, praktisch einer Andeutung einer Frauenbewegung, ohne eine pathetische Plattheit herausgekommen ist. Sondern so, dass man dachte, ja, da ist nach wie vor eine unabgegoltene Substanz in diesen Bewegungen drin. Nicht die der Oktoberrevolution oder der gelungenen Revolutionen, sondern gerade in denen, die gescheitert sind, aber etwas für die Menschen hinterlassen.
Kluge
Diese Revolution von 1905 in Russland hat ja einen ganz großen Glanz. Rosa Luxemburg ist glaube ich hingefahren. Und es ist so gewesen, dass Kommunikation zwischen Petersburg und Kiew schneller ging als die Telegraphen. Das ist Ahnungsvermögen. Das heißt, da hat gar keine Kommunikation stattgefunden, sondern die haben dasselbe gedacht. Von selbst. Das ist wie ein Grundstrom …
Text
SPUKHAFTE FERNWIRKUNG in authentischen Revolutionen
Negt
Naja, das sind diese Elemente des Spontanen, des spontanen Widerstands, die sich da ausdrücken und die zu einem kollektiven Gesamtwillen führen, ohne dass da irgendwelche Dirigenten oder Führer auftreten.
Kluge
Die werden ja karikiert. Die treten auf als Gesangslehrer. Das wirkt schon komisch. Das wirkt so, wie die Reaktionäre Napoleons III. in der Kasperlbühne.
Negt
So ist es.
Text
Lenin (als Chorleiter): Dem Andenken der Commune
Text
LENIN, Stefan Schreiber
Negt
Es ist eine gewaltige Leistung, so eine im Grunde schwerfällige Oper so auf die Bühne zu bringen, dass sie eine lebendige Faszination bekommt.
Kluge
So dass sie fast Nummern kriegt. Er hat eigentlich eine Nummernoper entwickelt im klassischen Sinne. Und die Gesamtwerkstruktur, die Nono ja schon auch entwickelt hat, hat er wieder unterbrochen. Es ist eigentlich wie schöne Geschmeide oder Bruchstücke.
Text
Oskar Negt, Philosoph
Negt
Und es ist ja auch gleich abtransportiert worden nach Edinburgh. Da ist eine Aufführung gewesen. Und es ist auch so, natürlich die Bühnenkonstellation ist so, dass die Wände immer enger werden.
Kluge
Zusammenrücken, bis sie zum Schluss die Menschen zerpressen.
Negt
Nicht ganz. Sie haben dann durch ein Fenster …
Kluge
Das sieht aus wie bei Titanic. Wie bei einem Schiffsuntergang.
Negt
Es wird immer enger, aber dann doch so, dass ein Lichtblick, eine Hoffnung da ist, auch ein Ausweg da ist. Der ist klein, insofern ist das nicht pathetisch bezogen auf das, was kommt. Und „Wir werden siegen“ ist dann eine gebrochene Parole, eine gebrochene Botschaft. Aber sie ist nicht so pathetisch aufgesetzt, dass, egal wie die Verhältnisse sind, und wie das Scheitern dieser Ansätze, dieser revolutionären Ansätze ist, wir werden siegen. Sondern es bleibt eine Hoffnung.
Kluge
Hier ist im ersten Teil gleich die Commune von 1870/71 Gegenstand. Und wenn du mir das mal beschreibst. Die Preußen haben Paris umzingelt. Sie haben vorher die Schlacht bei Sedan gewonnen. Napoleon III. hat kapituliert. Eigentlich ist der klassische Krieg beendet. Und da erhebt sich Paris.
Negt
Und es steht auf das Pariser Proletariat, die Pariser Handwerker, das Pariser Volk.
Kluge
Und machen noch einmal Französische Revolution im umzingelten Paris. Mit Ballons, die die Botschaften in alle Welt bringen. Es ist lebhafter Postkartenverkehr. Pamphlete werden ausgetauscht …
Negt
Aber es ist wiederum nur Paris, isoliert vom Land, und erfährt eigentlich dasselbe Schicksal wie die große Französische Revolution, die das Land nicht einbeziehen kann. Und wird dann eben von preußischen Truppen niedergeknüppelt.
Kluge
Paris hat sein eigenes politisches Theater. Aber das mit wirklichen Menschen aus den Stadtvierteln …
Negt
Mit wirklichen Menschen. Und Marx feiert das ja sehr, und sagt: Hier ist zum ersten Mal so etwas wie die Rücknahme der politischen Gewalt in den gesellschaftlichen Lebens- und Produktionszusammenhang.
Kluge
Das einzige Beispiel, dass es so etwas wie Räte gibt. Dass Menschen spontanistisch sich selbst zu regieren beginnen.
Negt
Es ist sehr kurz, die Zeit ist sehr kurz. Aber immerhin, sie haben Banken und es wäre so etwas wie eine Selbstverwaltung möglich, würden nicht die Preußen jetzt dieses Experiment zerschlagen.
Text
Die Preußen lassen die Soldaten Napoleons frei, damit sie den Aufstand niederschlagen
Kluge
Und zwar dadurch, dass sie die Kriegsgefangenen, die Söldner, die alte Armee Napoleons III., die besiegt ist und in den Gefangenenlagern sitzt … die wird wieder freigelassen und der bürgerlichen Regierung in Versailles zur Verfügung gestellt, die dann damit Paris zurückerobert. Und das ist das Jahr, in dem Marcel Proust geboren wird, in diesen Wirren, in diesem Paris. Seltsam. Die Revolution entlässt ihre Kinder, und es entsteht hier jemand, den die Commune nicht beabsichtigt hatte. Der kann das Ganze sehr gut deuten. Ist aber gewiss kein Revolutionär.
Text
Marcel Proust (1871-1922)
Negt
Muss man glaube ich nicht sein, um die Revolution und die Zeitverhältnisse deuten zu können. Er ist ein Revolutionär auf andere Weise. Gerade also „Die Suche nach der Verlorenen Zeit“ ist auch immer eine Suche, Revolution als das zu begreifen, was die verlorene Zeit wiederbelebt. Und das ist glaube ich auch ein wichtiger Zug im Proustschen Denken.
Kluge
Er ist ein Revolutionär der Gründlichkeit. Kann man das sagen? Der gründlichen Beschreibung.
Negt
Der genauen Beschreibung. Der gründlichen weiß ich nicht, aber genauen Beschreibung würde ich sagen.
Text
Johannes Harneit, Musikalische Leitung
Text
Luigi Nogo (1924-1990)
Johannes Harneit
Also eigentlich eine unglaubliche Musik. Wenn man sich das heute vorstellt, und in den 70er Jahren hat man sich daran gestoßen, dass eine solche Melodie kommt. Aber man hat nicht darauf gehört, was denn gleichzeitig dagegen gesetzt ist. Man hat sich an der Melodie gestoßen, das ist das Verrückte, man hat sich an der Melodie gestoßen, und den Kampf nicht gesehen, den er zeigen wollte. Und ich finde das grandios. Und es ist immer noch so, die Begleitung ist so schwer, dass der Chor – alle auf der Bühne müssen das singen – heilfroh ist, wenn er den richtigen Ton erwischt. Weil diese Begleitung [spielt Klavier zur Demonstration], nehmen Sie davon jetzt mal den Ton. Wenn er gemacht hätte [spielt Klavier zur Demonstration], könnte man sagen, ja, dann wäre es klar. Aber das macht er eben genau nicht.
Text
„Die Schönheit setzt sich der Revolution nicht entgegen“ Louise Michel / Che Guevara
Text
REVOLUTION OHNE PATHOS / Oskar Negt über Nonos Revolutions-Oper „Al gran sole carico d’amore“