Erich Wonders imaginäre Räume
Transkript: Erich Wonders imaginäre Räume
- Text
- 10 vor 11. Ten to Eleven.
- Text
- Erich Wonder entwirft das Bühnenbild für “Tristan und Isolde” in Bayreuth, eine Inszenierung von Heiner Müller / Wie arbeitet Erich Wonder?
- Text
- Rot … Blau … Gold … Licht … Bewegung … Struktur / ERICH WONDERS IMAGINÄRE RÄUME
- Text
- Entwurf für das Tristan-Bühnenbild in Bayreuth
- Erich Wonder
- Theater ist immer so einengend, da ist immer hinten die Betonwand. Und es macht auch Spaß, innerhalb dieser Betonwand zu arbeiten und Illusionen zu finden. Aber das hat mir nie genügt, ich wollte immer raus und weiter, und hab immer Projekte versucht, die ich selber entworfen habe und dann mit Musikern machen wollte, oder mit einem Autor. Hab auch mit Heiner Müller mal sowas versucht schon lange, ich habe ihn öfter besucht, in den 70er Jahren war das, und hab mit ihm geredet. Also ich wollte nicht einen Text haben, sondern ich wollte, habe versucht mit einem Autor zu sprechen und daraus einen Abend zu machen, für mich, also nicht immer die vorgedruckten Sachen.
- Alexander Kluge
- Der Sie anregt, und Sie entwickeln dann den Auftrag weiter.
- Wonder
- Der mich anregt, und dann mach ich was weiter draus. Da hab ich zwei Sachen gemacht damals, das war 79 in Düsseldorf. Das ist Rosebud …
- Text
- Erich Wonder, Bühnenbildner
- Kluge
- Wie heißt das?
- Wonder
- Rosebud.
- Kluge
- Der Schlitten von Citizen Kane?
- Wonder
- Der Schlitten. Das ist ein Geheimniswort, war das. Das hab ich auf der Bühne gemacht, mit einem Schauspieler. Und das lief auch zehn Mal, so richtig als Abend. Dann hab ich noch eins gemacht, das hieß Scratch, auch mit einem Schauspieler, und da hat der Musiker Heiner Goebbels die Musik dazu gemacht, zu dem zweiten. Und beim ersten hab ich einfach versucht, meine ganzen Bedürfnisse und verdrängten Geschichten, die man so am Stapel hat, loszuwerden, und hab die ganzen Kindheitseindrücke aufgearbeitet. Zum Beispiel wenn man nicht einschlafen kann als Kind, bei der Großmutter, die kam mit so einem grünen Auge, das gab es damals nach dem Krieg, das hat geleuchtet nachts. Oder Autos fuhren vorbei, und dann ging der Scheinwerfer durch den Raum, durch die Jalousien. So richtige Eindrücke, persönliche Sachen auch zu machen.
- Kluge
- Die aber außer Ihnen eigentlich keiner wirklich enträtseln kann. Das haben zwar auch andere gesehen, sie würden es aber doch nicht identifizieren.
- Wonder
- Ich habs nie fertig inszeniert. Mich stört am Theater, dass immer alles fertig gemacht wird. Also man sieht den Anfang, man sieht die Handlung, den Höhepunkt, und dann löst sich die Handlung auf, und dann gibt es ein Ende. Und man geht dann befriedigt nach Hause.
- Kluge
- Und Sie lassen es bei der Gestaltung des Rohstoffes?
- Wonder
- Ja. Es kann alles werden. Also so Zwischenräume interessieren mich eher, wie die Hauptmotive, die Zwischenmotive. Und das ist eher im Kopf, kann eine Woche später beim Geschirrwaschen entstehen oder so bei jemandem. Und das war ganz interessant, weil Leute wirklich kamen: “Ich hab das und das gesehen, und das war wie bei mir zuhause”, was ich gar nicht meinte … also völlig verschiedene Interpretationen waren möglich, und das war für mich ein großes Erlebnis.
- Kluge
- Wenn Sie mir mal Tristan in dieser Form erzählen würden.
- Wonder
- Ja, der erste Akt zum Beispiel, das ist auch so was. Das ist eigentlich ein Raum, in dem ich mich auch gerne selber hinlegen würde und schlafen würde, zum Beispiel.
- Kluge
- Das Meer wiegt einen.
- Wonder
- Es wiegt einen, und es ist auch eine ständige Lichtbewegung im Raum, eine ganz langsame. Es ist so ein Gleiten, oder Abstürzen, ein bisschen. Wie ein U-Boot. Wenn man ein kleines U-Boot hat, und man lässt sich gleiten, in Atlantis oder eine tiefe Unterwelt. Also dieses Gefühl wollte ich da machen, schwerelos eigentlich. Und insofern hat dieser Raum von Tristan im ersten Akt sehr viel zu tun mit dem Raum, den ich hier auch gemacht hab, der hier drinnen ist, denn man hier sehen kann. Ich glaube, zu dieser Oper kann man auch sehr persönlich arbeiten. Ich denke eher weniger in solchen politischen Geschichten in dem Fall. Sondern da sind wir Partner, das macht der Regisseur.
- Kluge
- Wie nennt man so etwas, was Sie machen? Wie würde man das im Jahrhundert bezeichnen, was ist die nächste Verwandtschaft?
- Wonder
- Einmal hab ich gesagt, ich bin eher ein Kameramann, der auch im Großen arbeitet. Der guckt, aber nicht den Gegenstand zeigt, sondern vielleicht einen Ausschnitt vom Gegenstand, oder das Dahinter. Also wenn ich fernsehe, schaue ich oft auf den Hintergrund, was sehr schwer ist sich darauf zu konzentrieren, und nicht auf den Kopf. Also so etwas interessiert mich. Ich denke, das Wort Bühnenbild stimmt nicht. Ich denke, dass ich Bildner bin, also Bildräume mache. Und meine Freiheit habe wie ein Maler auch.
- Kluge
- Wenn Sie jetzt sozusagen erzählt kriegten: Wittenberg. Ein Student kommt von Wittenberg. Hamlets Bild 1. Hamlets Heimreise in den Norden. Das Schloss oben an der Küste, wo er nach Hause kommt. Die Dienstmägde in der Küche. Wenn Sie also das Drama von Heiner Müller, oder das von Shakespeare auseinander legen würden in solche Szenen. Die Mutter steht auf morgens. Ophelia wird gefunden. Der erstochene Polonius wird jetzt zu Grabe getragen. Also da werden alle Szenen, die es nicht gibt im Drama, die es aber notwendig geben muss, also die ausgelassen sind - würde es Sie reizen, sowas auch zu übersetzen?
- Wonder
- Jaja, ich finde das spannend.
- Kluge
- Da könnten Sie also als Kameramann im Grunde jedes Mal Bildräume machen, Bilder malen, die kann man auch zusammenfügen und so. Und auf diese Weise könnte man eigentlich eine unendliche Erzählung von Dramen entwickeln, und eins wäre so verschieden vom andern.
- Wonder
- Das finde ich toll, zum Beispiel.
- Kluge
- Und verschiedener als meinetwegen die Bernstein-Aufführung einer Sinfonie von einer Solti-Aufführung.
- Wonder
- Ja sowas denk ich auch, das finde ich viel interessanter.
- Kluge
- Und das ist der innere Grund, warum Sie sozusagen die Möglichkeit, den Rohstoff mehr schätzen als das fertige Stück.
- Wonder
- Ja, schon.
- Kluge
- Wenn Sie jetzt hier mal auf dieses … was ich hier sehe vom Ring. Da gehen Sie aus dem Theater raus. Das ist die Ringstraße von Wien.
- Wonder
- Ich muss dazu die Vorgeschichte erzählen. Ich wurde ja eingeladen damals zur Dokumenta in Kassel zu einer Aktion im Freien, und die hab ich gemacht. Und das war eine Barock-Allee. Es gibt ein gewisses Schema in der Barock-Anlage, die hat eine Mittelachse, hat Seitenachsen, und die führt dann zu einem Teich und so. Und da hab ich die Mittelachse gewählt, und die Zuschauer standen hinter einer Blende, wie im Kino, mit einem durchsichtigen Stoff. Da gab es ein Objekt, ein sehr großes Objekt, das von der Ferne ankam, 500 Meter, auf dem ein monochromer Film lief und ganz wenig Handlung war, mit einer Person und einem Hund. Und mit der Musik von Heiner Goebbels, die auch auf dem Wagen montiert wurde, also auch einen räumlichen Zusammenhang herstellte. Und das war eher formal gedacht, aber es hatte emotionale Auswirkungen auf die Leute. Und diese gradlinige Raumbewegung, die mich da interessiert im Barock, die habe ich dann übertragen in Berlin auf den Landwehrkanal. Da standen die Zuschauer auf Pontons, auf schwimmenden. Und das Ganze war auf einem Schiff montiert. Da war das Gleiche auf dem Schiff, auf dem Wasser sozusagen. Und das war im Niemandsland, also vom Barock-Garten zum Niemandsland. Links war die Mauer, und rechts war West-Berlin, der Park. Da hab ich das Gleiche gemacht. Und dann hab ich dasselbe gemacht - in Österreich gibt es die großen Stahlwerke, die VÖEST, und da arbeiten 20.000 Leute, die ganze Stadt. Und da wollte ich das machen, und da ist dann eine - da hab ich das vergrößert. Man stieg in ein altes Erzschiff, da wurde Erz – die Russen bringen dorthin Erz als Rohstoff und nehmen Stahlplatten mit. Da gibt es einen eigenen Hafen, mit einem Zug, einer eigenen Bahn. Und das hab ich alles benutzt, und die Zuschauer fuhren durch diese Fabrik, wo ich noch Effekte verstärkt habe. Und dann gab es oben, in 30 Meter Höhe, bei den alten Stahlöfen, da gab es die gleiche Aktion wie vorher. Und das war die Industrielandschaft. Also ich hab versucht, die drei Orte abzutasten.
- Text
- Erich Wonder, Bühnenbildner
- Kluge
- Sie haben da einen Film gemacht, und man konnte eine Eintrittskarte kaufen und als Zuschauer mitwirken.
- Wonder
- Ich hab das als Film aufgezeichnet, aber es ist ganz schwer sowas aufzuzeichnen
- Text
- Ausschnitte aus: Maelstrom-Projekt von Erich Wonder
- Voice-over
- … der Wilde zuckt im Takt ihres Flügelschlags auf den Boden des Bootes als wir ihn berühren ist er tot seine Haut eisig die Zähne weiß wir schneiden in seine Haut kein Blut mehr nach dem zweiten Schnitt geht sein Leichnam …
- Kluge
- Um jetzt nochmal zurückzukommen auf Tristan. Wenn Sie mir jetzt einmal von Anfang an beschreiben: Welche Räume erzeugen Sie, was machen Sie als Bühnenbildner, in Anführungsstrichen? Also es fängt an, beim Vorspiel, was machen Sie da?
- Text
- Das Bühnenbild zu “Tristan und Isolde”
- Wonder
- Das wird nur mit Licht gemacht. Also das Bühnenbild ist ein Würfel, von dem ich erzählt hab. Der ist total, ist vorne zu. Das bleibt den ganzen Abend zu. Also ein durchsichtiger Schleier. Es ist ein richtiger Würfel, und der wird nie aufgemacht. Der ganze Tristan …
- Kluge
- Man guckt nicht rein?
- Wonder
- Man guckt schon rein, aber durch einen Schleier. Also man sieht nie …
- Kluge
- Man sieht also Schemen im Grunde.
- Wonder
- Nein, das hängt vom Licht ab. Also man kann völlig klar rausleuchten die Leute, man kann sie aber auch vernebeln, verschleiern. Es bleibt immer eine in sich geschlossene Welt. Eine Kastenwelt bleibt das.
- Kluge
- In diesem Kasten sitzen die Herrschenden. Der Chor ist draußen, hab ich das richtig verstanden?
- Wonder
- Ja, der Chor ist an der Peripherie. An der Kante.
- Kluge
- Nicht im Würfel.
- Wonder
- Nein, er wird nie agieren im Würfel.
- Kluge
- Und agieren tun die handelnden Personen im Würfel.
- Wonder
- Im Würfel, ja. Also nur die Hauptpersonen agieren.
- Kluge
- Und die sind jetzt auch verurteilt zum großen Schicksal.
- Wonder
- Die können auch nicht raus. Es gibt keinen Abgang, zum Beispiel. Und Auftritt gibt es nur einmal, wenn Marke kommt. Da muss das sein.
- Text
- Geht überhaupt ein Vorhang auf?
- Kluge
- Wenn der Vorhang aufgeht, was sieht man? Geht überhaupt ein Vorhang auf?
- Voice-over
- [im Hintergrund, Übersetzung in Japanisch]
- Wonder
- Nein, es wird kein Vorhang aufgehen. Es wird nur eine Lichtüberblendung geben, und es entsteht ein Raum. Also ich hab das Schiff umgewandelt in einen Raum. Eigentlich der Innenraum, der aber Bewegung zeigt. Der Raum illustriert nicht, sondern schafft eine Situation, die auch nichts erzählt, direkt. Also es soll eigentlich ein Raum sein, der das Gefühl erzeugt, das in der Szene ist, aber auch nicht gezeigt wird. Also ein Raum, der im Kopf entsteht, wenn das geht.
- Kluge
- Wenn Sie mir das mal beschreiben? Was sehe ich? Sehe ich Rhythmen, sehe ich Schatten, was sehe ich?
- Wonder
- Sie sehen – ich hab versucht, da das ja eine Oper ist, in der die Story ja nebensächlich ist und in drei Minuten erzählt ist, hab ich versucht, eher meditative Räume zu machen.
- Kluge
- Meditative Räume.
- Wonder
- Meditative Räume, oder auch monochrome Räume.
- Kluge
- Einfarbig.
- Wonder
- Einfarbig. Es gibt ein Farbsystem am Abend, und ich bin davon ausgegangen, was schon immer ein Wunschtraum war von mir – monochrome Malerei, von Mark Rothko ausgehend, der eigentlich der erste war damals, der das gemacht hat in New York – in Raum und Bewegung umzusetzen, das wollte ich probieren. Das ist mein Anliegen. Und dadurch ergeben sich gewisse Farbkonstellationen. Es gibt einen roten Raum, das ist der erste, der durch Licht zerstört wird und nicht nur rot wird.
- Kluge
- Also der rote Raum ist das Zelt, das ehemalige Zelt, in dem Isolde abgegrenzt von den Mannen da, und den Schiffsleuten, sich aufhält mit Brangane. Das ist rot?
- Wonder
- Ja, man kann das nicht so genau beschreiben. Normal ist es ein Schiff, und da ist ein Zelt drauf. Und hier ist das Ganze eine Einheit. Und die Mannen, die sind außerhalb. Also die stehen, man sieht nur den Rücken zum Beispiel. Und der Rücken ist ein Teil der Farbe, das Rot. Und wenn sie singen, drehen sie sich um, und dann auf einmal sind sie Menschen, dann. Und wenn sie sich wieder umdrehen, sind sie nur eine Wand. Es ist wie eine Maschine, ein bisschen. Es gibt nicht mehr dieses Innen und Außen, sondern es ist nur mehr ein Grundraum quasi. Für mich ist das Theater, wenn ich das radikal machen kann, und das hängt vom Stück ab, ist das immer ein Würfel, ein Ausgangspunkt.
- Kluge
- Die Bühne haben Sie erstmal, sozusagen, vergessen. Da ist ein Raum, und in diesem Raum ist ein Würfel.
- Wonder
- Ja, also für mich ist eigentlich auch eine leere Bühne ein Würfel, ist auch die Black Box, ein schwarzer Würfel, in den man jetzt Illusion hineinzaubern kann. Oder man schafft seine eigene Box jetzt, das hab ich hier gemacht. Und alle drei Akte sind verschiedene Boxen eigentlich, die eine verschiedene Bewegung auch haben.
- Kluge
- Und Sie sagten jetzt, Sie fangen rot an. Und dieses Rot wird in dem Maße, in dem der Liebestrank eingenommen wird, durch Licht zerstört, oder wodurch?
- Wonder
- Durch Licht. Durch Natriumdampflicht, zum Beispiel, dieses gelbe Straßenlicht. Damit wird beleuchtet. Das löst das Rot wiederum auf, und es wird kein roter Raum in dem Sinn dann bleiben, sondern es wird ein braunroter Raum, den man aber variieren kann.
- Kluge
- Wann fangen Sie damit an, musikalisch gesehen? Also was passiert in der Musik zu diesem Zeitpunkt, in dem Sie es auflösen?
- Wonder
- Diese Sache, da müssen wir noch Experimente machen. Also wir haben schon angefangen, mit Licht zu arbeiten, aber das entsteht noch, genau wann was passiert.
- Kluge
- Aber Sie wissen, dass so etwas passiert. Ihnen ist aber im Moment eigentlich egal, an welcher Stelle dramaturgisch, oder von der Musik her gesehen das geschieht.
- Wonder
- Ja, im ersten Bild zum Beispiel.
- Kluge
- Sie fangen nicht an, eine Beziehung herzustellen zwischen der zunehmenden Leidenschaft, die Tristan ergreift …
- Wonder
- Das kann sein. Aber wir haben Vorproben ein Jahr, heuer, und da entsteht das dann. Also das entsteht im Vorprobenprozess. Und danach machen wir wieder Beleuchtungsproben und versuchen wieder, da ran zu kommen.
- Kluge
- Und im zweiten jetzt, das zweite Bild: Garten während der Nacht?
- Wonder
- Ja, das zweite Bild ist blau, und das Bild – da hab ich versucht, zwei Realitäten zusammenzukriegen. Eigentlich gibt es einmal diese abstrakte Raumsituation, die monochrome Raumsituation, und eine Über-Realität, eine traumhafte, mit Rüstungen und so weiter. Also ich kann das jetzt nicht genau beschreiben …
- Kluge
- Mit Rüstungen? Ritterrüstungen?
- Wonder
- Ja, kommen ganz viele vor.
- Kluge
- Deutsche? Chinesische? Ferne? Abstrakte?
- Wonder
- Normale deutsche. Es sind nur Oberkörper. Und es ist ein Meer von Oberkörpern. Also es gibt so japanische Filme, wo Leute immer durch hohes Gras laufen, bei Kurosawa oder anderen Filmen. Und so eine Wirkung durch deutsche Rüstungen. Man läuft durch deutsche Rüstungen, durch ein Meer von deutschen Rüstungen. Und das ist das überreale Element, würde ich sagen.
- Kluge
- Das heißt, es ist nicht ein Garten mit Blumen, sondern ein Garten der Bewaffneten.
- Wonder
- Ja, das ist eigentlich der Garten von Marke. Das ist die Gewalt, die Männer.
- Kluge
- Seine Vasallen.
- Wonder
- Ja, seine Vasallen sind das eigentlich.
- Kluge
- Die bewaffneten Männer wachsen auf den Äckern.
- Wonder
- Ja. Aber die sind hohl. Es ist nichts drinnen.
- Kluge
- Und jetzt das dritte. Im dritten Bild, im dritten Akt sind ja jetzt eigentlich zwei Dinge: Das Land der alten Sonne, und eine alte Burg, wo Tristan krank liegt.
- Wonder
- Ja. Folgerichtig ist die Farbe schwarzweiß. Die Farbe ist weg.
- Kluge
- Die Farbe ist weg.
- Wonder
- Die Farbe taucht nur noch einmal auf, wenn die Wunde – da wird die Wunde aufgerissen. Und da kommt nochmal ein rotes Quadrat. Und das spielt mit den Erfahrungen, also mit konstruktivistischer Malerei, Malewitsch und so weiter, das spiel ich da weiter.
- Text
- Yohji Yamamato, zuständig für die Kostüme
- Kluge
- Also daher kommt das schwarze Quadrat, das rote Quadrat.
- Wonder
- Ja, ich möchte das mal aufarbeiten, wie weit man das in der Oper machen kann, ohne dass es modernistisch wird.
- Kluge
- Also diese Elemente sind ja bisher nicht bis Bayreuth vorgedrungen.
- Wonder
- Nein. Ich hab früher gemalt, bevor ich zum Theater ging, sehr konstruktivistisch, und hab studiert die ganzen – Malewitsch und Mondrian und so weiter, ich habe die kopiert auch und studiert sehr genau, und ich wollte mir diese Welt nochmal aufarbeiten. Weil wenn die verwendet wird am Theater, wird das eher so Kunstgeschichte und so weiter. Ich wollte richtig so einen funktionierenden, auch menschlichen Innenraum erzeugen damit.
- Kluge
- Haben Sie eigentlich die Vermutung, dass in der Musik diese maschinelle Struktur auch steckt?
- Wonder
- Ja schon, würd ich schon sagen.
- Kluge
- Bei Wagner, im Tristan?
- Wonder
- Ja, hier.
- Kluge
- Also wenn er sich da entsetzlich müht, Ausdrucksgesten im Grunde zu erzeugen.
- Wonder
- Naja, ich denke, man muss ja nicht mitmachen. Wenn man das Gegenteil macht, kann auch wieder das entstehen, was er wollte. Also das heißt nicht, dass man das illustriert und mitmacht, den Rhythmus, sondern man kann auch dagegen arbeiten. Und es kann das Richtige rauskommen, glaub ich dabei.
- Kluge
- Beschreiben Sie mir doch mal, was Sie wissen von seinen Entwürfen.
- Wonder
- Ich hab die noch nicht gesehen. Wir haben uns heute getroffen. Wir arbeiten eigentlich ziemlich offen, also das ist schon ein Versuch, dass man spricht über die Intuitionen und was man eigentlich ungefähr möchte, oder zu was man Lust hat sozusagen. Aber wir versuchen immer, auch mit Heiner Müller immer, wenn ich arbeite, ist das nie festgelegt. Wir sprechen nie genau, sondern er sagt, dieses Schloss bei Hamlet ist ein Eisblock, das ist ein Eisblock, und dann geht er weg. Und ich hab den Eisblock dann, und arbeite mit einem Eisblock. Also er macht so große Angaben, und dann arbeite ich. Und das akzeptiere ich.
- Kluge
- Was hat Heiner Müller Ihnen gesagt?
- Text
- Yohji Yamamato, zuständig für die Kostüme
- Yamamoto (durch Übersetzer)
- Der Herr Heiner Müller wünschte eigentlich, dass man sich nicht bewegen kann. Das bedeutet nicht, dass etwas festgeschnallt wird, sondern wenn man sich bewegen will, dann ist man schon festgelegt, so in dem Sinne.
- Kluge
- Ich verstehe. Das heißt auseinanderbrechende Charaktere, zusammengezwungen durch das Kostüm.
- Yamamoto
- Ja, das glaube ich auch. So ungefähr.
- Text
- Rot … Blau … Gold … Licht … Bewegung … Struktur / ERICH WONDERS IMAGINÄRE RÄUME