Menschheitsgeschichte als schwarze Kunst
Transkript: Menschheitsgeschichte als schwarze Kunst
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- PRIMETIME. Spätausgabe
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- Am Grand Théâtre in Genf brachte Heiner Goebbels mit dem ENSEMBLE MODERN seine faszinierende Oper LANDSCHAFT MIT ENTFERNTEN VERWANDTEN heraus / Es geht um “frappierend bewegte Klangbilder” (FAZ) / Ihr Thema: MENSCHHEITSGESCHICHTE ALS SCHWARZE KUNST - -
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- MENSCHHEITSGESCHICHTE ALS SCHWARZE KUNST / Eine anti-autoritäre Oper von Heiner Goebbels
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- Ausschnitt aus: Eine anti-autoritäre Oper von Heiner Goebbels Per cui si ascende dal corpo più denso quale è la terra
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- Akt, 1. Suite / Giordano Bruno, ÜBER DAS UNENDLICHE, DAS UNIVERSUM UND DIE WELTEN al lem crasso quale è l’aqua…
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- Akt, 3. Suite, Derwische Look There he is now Look There is no interrogation in his eyes or in his hands,
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- Akt, 4. Suite, Triumphmarsch/ Coriolan/ Homme – Bombe Actor on stage: quiet over the horse’s neck and the eyes watchful waiting perceiving indifferent.
- Chorus
- Now Actor: They go up to the temple
- Chorus
- Then Actor: the sacrifice.
- Chorus
- Now Actor: Come the virgins bearing urns,
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- David Bennent, Schauspieler urns containing dust. Dust Dust of Dust Dust
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- Homme – Bombe Chorus on Stage: Après tuer, les caresses. Qu’il dit, pense le public,
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- Henri Michaux: Liberté d’action
- Chorus on Stage
- mais s’il demeure le tuer…
- Alexander Kluge
- Es gibt eine… eine Sequenz, oder ein Bild das Orchester auf der Bühne mit den Masken.
- Heiner Goebbels
- Das Bild selbst, dazu müssen wir noch was sagen, ist keine Erfindung von mir, wie viele Bilder von mir nicht erfunden sind, sondern im Grunde inspiriert wurden von Motiven aus der Bildenden Kunst. Es gibt Motive zum Beispiel von Leonardo da Vinci, es gibt Motive von Poussin, es gibt von Velazquez ein berühmtes Bild es gibt die “Tischgesellschaft” von Katharina Fritsch, die Sie aus dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt kennen, und dieses Bild, auf das Sie anspielen, das Orchester mit den Masken, ist eine Fotografie von dem albanischen Künstler Sislej Xhafa, die ich in New York im Museum gesehen habe, und die mich vor allen Dingen fesselt aus dem gleichen Grund, warum mich auch Poussin fesselt, aus dieser merkwürdigen Balance von Schrecken und Schönheit. Also die Tatsache, dass da Leute sitzen, die sehr zivilisatorisch-kultivierte Instrumente beherrschen, aber mit der Maske möglicherweise einem nahelegen, dass sie sich auch noch mit anderen gefährlicheren Gerätschaften auskennen. Diese Art von Balance in dem Bild, diese Spannung in dem Bild, die hat mich sehr gefesselt und daraufhin habe ich dann eine Musik geschrieben, die auch versucht eigentlich solche zwei Schattierungen möglich zu machen. Zum Beispiel erinnere ich mich, dass an dem Tag der zweiten Vorstellung, das war Ende Oktober und in Genf, gab es diese Geiselnahme in dem Moskauer Musicaltheater. Und man sah im Fernsehen, dass diese tschetschenischen Rebellen auf die Bühne stürmten mit diesen Masken, und dann die Darsteller und das Publikum in den Orchestergraben verfrachteten. Und ich dachte, so spontan dachte ich: Oh Gott, jetzt hat dieses Bild seine merkwürdige Uneindeutigkeit verloren, und jetzt kann ich es eigentlich nicht mehr… ich wollte eigentlich zurückfahren und das Bild rausnehmen, spontan. Und wenige Minuten später kam im selben Filmbeitrag ein Bericht über das Sonderkommando, das russische Sonderkommando, was übte schon für den Befreiungsschlag zur Befeiung der Geiseln. Und die wurden also bei irgendwelchen Übungen, beim Einbrechen in Gebäude gezeigt und die hatten natürlich auch die gleichen Masken, das heißt, das Tragen der Masken hat keinerlei Auskunft darüber gegeben über sozusagen die Wertung dessen, was wir da eigentlich sehen und bleibt natürlich zusammen mit den Instrumenten nach wie vor in ’ner wunderbaren Balance. Deswegen ist das Bild auch drin geblieben. Es gibt so ’ne Stelle, die ich grade gefunden habe, bei Hannah Arendt, übrigens auch im Zusammenhang mit Tischgesellschaften, wo sie ’ne Identität von Räuberbanden und Heiligen aufmacht und sagt, es gibt durchaus etwas Gemeinsames bei beiden. Beide halten sich für … das Verhältnis von beiden zur Welt ist sozusagen gestört, die einen sind zu gut für die Welt die anderen sind zu schlecht für die Welt, aber beide haben sie im Grunde mit ihr abgeschlossen. Und dieses merkwürdige Gegenüber, was im Grunde im Zuschauer immer eine Parteinahme erfordert, aber nie ’ne Parteinahme von der Bühne her festlegt, das interessiert mich ohnehin für das ganze Stück.
- Kluge
- Das ist ja eine Stelle, die kommt nach diesem “Ove è dunque”.
- Goebbels
- Ja.
- Kluge
- Dieser “Ove è dunque”-Text: “Wo bleibt denn unsere schöne Ordnung, diese schöne Stufenleiter der Natur, auf der man emporsteigt, vom dichtesten und solidesten Stoff der Erde zum weniger dichten, dem Wasser zum Feinen zum Feineren zum Feinsten” – der taucht zweimal auf, dieser Text. Das ist die einzige Textstelle, die zweimal auftaucht, also …
- Goebbels
- Ja, also … die ist von Giordano Bruno, der ja in seinen Dialogen immer sozusagen mal die Position einnimmt, mal jene Position. Das ist ’ne Position, die er dann schnell wieder widerlegt, weil er ja in seinen frühen Texten – ach, nicht in seinen frühen Texten, weil er überhaupt in seiner ganzen auch religiösen und philosophischen Position die Hierarchie des Universums, sich da von ihr verabschiedet und die Balance der Gegensätze im Grunde erkennt.
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- ABSCHIED VON DER HIERARCHIE DES UNIVERSUMS / VIELE WELTEN
- Goebbels
- Das ist schon eine Schlüsselfrage, die mich sowohl als eine politische Frage interessiert aber auch als ’ne Theaterfrage. Also mich interessiert auch die Hierarchie vom Theater immer weniger, und Stücke, die nach dem Prinzip entstehen, dass man zuerst den Text festlegt ….
- Kluge
- … also erst das Grobe, und dann immer feiner …
- Goebbels
- … ja, ne, und vor allem dass sozusagen alle anderen Element nur dazu da sind, eins zu bestätigen,
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- Giordano Bruno (1548-1600)
- Goebbels
- und man sozusagen nichts aushandelt zwischen den Elementen. Das ist etwas, was mich ohnehin beschäftigt, auch fürs Theater, also wenn Sie so wollen, interessiert mich auch, diese Stufenleiter der Theatermittel, die auszuhebeln. Das Wunderbare, was glaube ich auch zum Gelingen einer solchen Arbeit noch dazugehört,
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- Zusammenarbeit mit dem ENSEMBLE MODERN
- Goebbels
- ist dass das Ensemble ja alle diese Rollen selbst einnimmt und sich ständig umzieht und ständig sozusagen vom virtuosen Beherrschen der Instrumente im Orchestergraben wieder auf die Bühne kommt, um dort zu singen oder zu tanzen, oder eine andere Szene einzunehmen. Und das geht glaube ich wiederum auch nur, weil die selber so eine Struktur haben, die dem, was wir da verhandeln, nicht unähnlich ist. Weil, das Ensemble Modern ist ja ein selbst verwaltetes Ensemble, die haben kein Zentrum, die haben keinen künstlerischen Leiter, der ihnen sagt, „Jetzt müsst ihr eine Goebbels-Oper einstudieren auch wenn’s hart wird," sondern das ist eine Entscheidung, die das Ensemble zusammen trifft. Jeden Tag setzen die sich sozusagen im übertragenen Sinne an den Tisch und handeln wieder neu ihre Positionen aus. Und diese große Reife vom Aushalten auch von Widersprüchen und von Positionen, und dieses große Selbstbewusstsein dieses Ensemblegedankens ist glaub ich auch etwas, was man spürt, wenn sie die ganzen Rollen einnehmen. Ich glaube nämlich, man sieht einem Stück letztlich an, wie es gemacht wird. Ich glaube, man sieht auch Stücken, die autoritär gemacht sind, sieht man es auch an, oder man spürt es, man spürt es sozusagen im Wegdrängen von anderen Möglichkeiten spürt man auch den Prozess, der dahintersteht.
- Sänger
- Vo hamase ham unase kabhI nA mile, kaise mile dil nA jaanuun, ab kyA karen, kyA naam len,
- Text
- Akt, Chant indien
- Sänger
- kaise unhe main pukaaruun, C kahanaa hii kyA ye nain jo ek anjaanse jo mile,
- Text
- Kenha hi kya von A.R. Raahman (in hindi)
- Sänger
- chalane lage mohabbat ke jaise ye silasile, aramaan naye aise dil men khile, jinako kahhI main nA jaanuun, vo hamase ham unase kabhI nA mile, kaise mile dil nA jaanuun, ab kyA karen, kyA naam len, kaise unhe main pukaaruun.
- Goebbels
- Zunächst wollte ich schon ’ne Verbindung herstellen auf diesen vierten Akt hin auch vom ersten. Weil mir ja wichtig ist, dass diese sehr verschiedenen Bilder letztlich einen inneren Zusammenhang haben. Also zum Beispiel das Bild, wo der Chor vorne am Tisch sozusagen als Abendmahlsszene nach der Ordnung fragt, und sozusagen nach den Komparativen fragt, ob nicht das das Leichte zum Schweren aufsteigt in der Stufenleiter der Natur. Das hat natürlich was zu tun mit dem Hillbilly-Bild am Schluss, wo die Komparative bei den abgehalfterten Cowboys ’ne Rolle spielen. Weil sie sagen, im Westen, da ist der Handschlag fester und das Lächeln ist ’n bisschen länger und der Schnee ist weißer und die Sonne heißer, und deswegen ist es hier bei uns ein bisschen besser.
- Schauspieler
- Je peux l’arranger moi-même leur pays. De la façon qu’ils s’y prennent, il y a toujours trop de choses qui ne portent pas.
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- Akt, 7. Suite / Freight Train / Emsemble Modern
- Actor on Stage
- Ils se sont donné du mal inutilement, ces New-Yorkais avec leurs gratte-ciels, si faciles à survoler, ces Chinois avec leurs pagodes et leur civilisation de derrière les fagots.
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- David Bennent, Schauspieler Moi, je mets la Chine dans ma cour. Je suis plus à l’aise pour l’observer. Et ils n’essayent pas de me tromper comme ils font chez eux, aidés par leur propagande xénophobe. Ils font chez moi tranquillement leur petit commerce. L’argent passe, et passe. Ça leur suffit, pourvu qu’il passe. Ce n’est pas moi non plus qui irais au Tyrol ou en Suisse…
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- MENSCHHEITSGESCHICHTE ALS SCHWARZE KUNST / Eine anti-autoritäre Oper von Heiner Goebbels Komposition & Regie: Heiner Goebbels/ In Zusammenarbeit mit ENSEMBLE MODERN & DEUTSCHER KAMMERCHOR
- Actor on Stage
- Pas si fou!
- Text
- PRIME TIME. Spätausgabe