Römische Grausamkeit

Transkript: Römische Grausamkeit

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Der Senat, der Rom regierte, war von reichen Grundbesitzern beherrscht / Zwei Volkstribunen, die Brüder Gracchus, wollten durch Volksabstimmung eine Umverteilung des Bodens erreichen / Ihre Argumente waren nicht zu widerlegen / DAS RECHT IN ROM ist UNVERLETZLICH / Also mußte man sie TÖTEN –
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RÖMISCHE GRAUSAMKEIT / Oskar Negt über die Brüder Gracchus und den Satz „Sozialismus oder Barbarei“
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ROSA LUXEMBURG gen. GRACCHUS
Alexander Kluge
Rosa Luxemburg nannte sich oft Gracchus und spielte an auf die Brüder, die Gracchen, die in Rom als Volksverteidiger, als Tribunen auftraten. Was ist das für eine Situation? Was sind die Gracchen?
Oskar Negt
Die Situation ist die, dass etwa um 130 vor unserer Zeitrechnung sich die sozialen Probleme wieder so verschärft hatten zu Ungunsten der Plebejer, die ihr Land verloren und kein neues Land bekamen, dass die Tribunen die Möglichkeit hatten, durch Agrargesetze das wiederum zu regulieren, das heißt also ein gewisses Machtgleichgewicht, eine Machtbalance wiederherzustellen. Und Tiberius Gracchus hat solche Agrargesetze vorgeschlagen, dem Senat vorgetragen. Da bestand eine rechtliche Möglichkeit. Aber der Widerstand gegen diese Agrargesetze war so groß, dass man nicht die tribunizische Interzession, wie es sich nannte, abgeschafft hat, sondern Gracchus erschlagen hat.
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Oskar Negt
Kluge
Der Bruder tritt an seine Stelle.
Negt
Der Bruder tritt an seine Stelle.
Kluge
Bringt den Senat erneut in Not.
Negt
Und wiederholt die Gesetzesvorschläge seines Bruders. Und auch hier zeigt sich, dass eine solche Institution allmählich zu einer gefährlichen Institution wird. Viele der Tribunen, die später nach Gaius Gracchus, der auch erschlagen wird, kommen, gehen große Risiken ein. Und später bei Sulla und anderen wird dann praktisch dieses Instrument des Machtgleichgewichts auch vielfach missbraucht von den Patriziern selbst.
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„Ein Römer verletzt DAS GESETZ NIEMALS“
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„DEN, DER RECHT HAT, MUSS MAN UMBRINGEN“ Ovid, Metamorphosen
Kluge
Das heißt, sie stellen selber Tribunen …
Negt
Sie stellen selber Tribunen …
Kluge
… die ihnen zuarbeiten.
Negt
Und ihre eigene Klientel ist dort beschäftigt.
Kluge
Und das Volk wird mit Zirkusspielen und Darbietungen und Unterhaltung zufriedengestellt.
Negt
Jedenfalls immer stärker. Je weiter das in die Herrschaftszeit von Pompeius und Cäsar geht, desto stärker, desto größer wird der Circus Maximus.
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ROM ÜBER 500 JAHRE / EIN STABILES KONSERVATIVES GEBILDE
Negt
Also über 500 Jahre ist das ein erstaunlich stabiles öffentliches Rechtssystem mit dem Zentrum Senat, und hält sich in dieser republikanischen Verfassung selbst bei der gewaltigen imperialen Ausdehnung dieses Reiches. Es ist eine kunstvolle und häufig auch rechtlich sehr beachtete Konstruktion, das heißt man geht nicht sehr schnell daran, ein Recht zu verändern. Sulla hat zum Beispiel den Senat verdoppelt. Dann waren also 600 oder 700 Leute drin, was eine …
Kluge
… Manipulationschance …
Negt
Ja, Manipulationschance, und natürlich eine Entmächtigung des Senats bedeutete.
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„RÖMISCHE SENATOREN argumentieren gegen DIE TRIBUNEN“
Kluge
Aber er hat ihn nicht abgeschafft.
Negt
Er hat ihn nicht abgeschafft. Und selbst Cäsar auf dem Höhepunkt seiner Macht ist nicht im Stande gewesen, diesen Senat abzuschaffen.
Kluge
Und die Substanz dessen, was vorher in den Institutionen steckte, geht später unter den Kaisern, die ja wie Diktatoren regieren, in die Rechtsprechung hinein.
Negt
In die Rechtsprechung hinein, und es werden ja nach wie vor Konsuln gewählt. Aber Caligula entwertet das Konsulamt dadurch, dass er sein bestes Pferd zum Konsul ernennt.
Kluge
Aber seine Berater, seine Rechtsberater mogeln nicht bei der Rechtsprechung. Das ist eine heilige Sache. Es ist etwas Übriges.
Negt
Es ist ein öffentliches Rechtssystem. Und natürlich die Privatrechtsverhältnisse werden ja im 19. Jahrhundert rezipiert. Man spricht ja von der Rezeption des Römischen Rechts im 19. Jahrhundert.
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„Man darf sich mit dem eigenen Verhalten nicht in Widerspruch setzen“ Ulpianus
Kluge
Unser BGB ist Römisches Recht.
Negt
Ein äußerst entfaltetes Rechtssystem. Und bis heute sind natürlich bestimmte Vorbilder da. Der Senat, der amerikanische Senat als eine Balanceinstitution gründet sich auf die republikanische Zeit Roms. Hier ist doch geschichtlich etwas ausgebildet, in dem Respekt und der Achtung auch vor Gesetzen. Und selbst solche missbräuchlichen Sachen wie die Tatsache, dass wenn ein Senatsmitglied einen Blitz sieht oder meint gesehen zu haben, musste das Gesetzgebungsverfahren unterbrochen werden. Was vielfach missbraucht wurde …
Kluge
Weil es ein Verstoß gegen den Willen der Götter wäre.
Negt
Ja, Gott, Jupiter erhebt Einspruch. Und er schickte dann seinen Diener in den Senat, und das Gesetzgebungsverfahren wurde unterbrochen. Und später hat man da auch eine rechtliche Regelung reingebracht, dass er selbst im Senat auftreten muss, um das zu bekunden und zu erklären, welchen Blitz er gesehen hat. Weil es auch missbraucht wurde. Diener sind dann einfach weggeschickt worden, wenn ein Gesetzgebungsverfahren für den betreffenden Senator nicht angenehm war.
Kluge
Die Summe also von höchster Seriosität, das heißt die Erzeugung einer Rechtsprechung findet hier erstmals statt in der Welt.
Negt
Gegenüber der Griechischen Polis, da gibt es ja kein richtig formalisiertes Recht. Sondern da sind es Bestände, Traditionsbestände, Sitten, sittliche Verhältnisse, die das bestimmen.
Kluge
Und letztendlich kann ein Machthaber auch Recht ändern. Und das ist in Rom nicht der Fall. Das Recht kann der Machthaber nicht ändern.
Negt
Seit Tarquinius Superbus, seit der Vertreibung der Könige ist der Schwur gemacht worden: Nie solle wieder ein einzelner Herrscher Rom beherrschen.
Kluge
Das ist, was man Republik nennt: res publica. Das Wissen, dass das Recht nicht gebeugt wird. Umgekehrt, Verbrechen ist hier angesiedelt. Das heißt, ein Kritiker wird ermordet, wenn seine Kritik sozial relevant ist.
Negt
Es sind nicht alle ermordet worden Es hat eine ganze Reihe von Gesetzesprojekten gegeben …
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Hinrichtungen mit Raffinesse
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Nach den morgendlichen Tierhetzen / fand in der Mittagszeit / der zweite Akt der Vorstellung statt / Verurteilte Verbrecher / wurden öffentlich hingerichtet / Man spielte mythologische Begebenheiten, / bei denen die Hauptdarsteller ums Leben kamen / Da bot sich die Prometheus-Sage an: / Ein Verbrecher wurde / ans Kreuz geschlagen, / und statt eines Adlers, der sich in der Sage / an der ständig nachwachsenden Leber / des Geschundenen weidet, / hetzte man einen Bären auf ihn / „Blutig troff ihm der Körper, / noch lebten die zerrissenen Glieder, / und am ganzen Leib / sah man vom Leibe nichts mehr /“ Seneca, Epistolea morales, Anmerkung 7
Kluge
Und es hat sich die Französische Revolution dann diese ganzen Metaphern zu Eigen gemacht, und wiederholt sie.
Negt
In den Mänteln, in der Toga, die Französische Revolution ja doch eben in der Verkleidung auch des republikanischen Alten Roms. Der erste Konsul, Napoleon, ja dann auch auftritt …
Kluge
… in der Pose eines Konsuls.
Negt
… des Konsuls, ja.
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Oskar Negt
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Tierhetzen am Vormittag / „Der Kampf von Bestien, / die, oft durch Verletzungen, / Hunger und Reizmittel / wie Strohpuppen / zur Raserei gebracht, / ungestüm aufeinander losgingen / Eine beliebte Paarung / war die von Bär und Stier, / aneinandergebunden, ihre Aggressionen / gegeneinander austobend, / bis einer verendete /“ Ein Raunen ging durch die / Reihen der Zuschauer, / wenn ein trächtiges Tier, / schon zu Tode verletzt, / in der Arena / Junge zur Welt brachte / Martial, Spectalulorum liber 12-14
Kluge
Und die nächste Schicht ist dann die sozialistischen Revolutionäre, die im Kientaler Kreis sitzen, wie Rosa Luxemburg. Die nennen sich auch nach Antiken, nach den Gracchen, Spartacus. Das heißt, sie nehmen auch diese Metaphern auf.
Negt
Sie nehmen die Metaphern, und sie sind natürlich … weil jede neue soziale Bewegung ihre eigene Geschichte haben muss, wird diese Geschichte der sozialen Bewegung der modernen Welt doch zurückgeführt auf die sozialen Aufstände, auf die sozialen Proteste des republikanischen Roms … wie Spartacus und Gracchus …
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Oskar Negt
Kluge
Wo man sozusagen wie auf dem Mond, wie auf einer Landkarte besonders klar sieht, zu sehen glaubt.
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„Wen man durch Argumente nicht widerlegen kann, DEN MUSS MAN TÖTEN“
Kluge
Rom hat ja einen enormen Einfluss auf den Weltkreis, okkupiert den Weltkreis, prägt ihn, aber prägt ihn nicht nur negativ. Man kann nicht sagen, das ist eine Koloniebildung, und anschließend zerfällt alles. Bis heute kommen Einflüsse, Lernprozesse, die von Rom abgeleitet sind.
Negt
Naja, es vollziehen sich eben Assimilierungen auf einem sehr hohen Niveau, nicht zuletzt auch durch die Übertragung und Erweiterung des Römischen Rechtssystems in Stammesgemeinschaften des Nordens, Galliens. Und Cäsar beschreibt das ja sehr intensiv, dass auch das Einklagen und das Einführen von Vertragsbeziehungen zwischen souveränen Stämmen von ihm also sehr beachtet wird, respektiert wird. Nicht immer, aber doch sehr häufig. Das heißt, hier wird auch eine Rechtskultur – insgesamt, glaube ich, die Wirksamkeit liegt in der Sprach- und Rechtskultur. Auch in der Sprachkultur.
Kluge
Warum ist bei der Kolonialisierung Afrikas …?
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RÖMISCHE GRAUSAMKEIT / Oskar Negt über die Brüder Gracchus und den Satz „Sozialismus oder Barbarei“