Tristan und Isoldes Kleider
Transkript: Tristan und Isoldes Kleider
- Text
- 10 vor 11. Ten to Eleven.
- Text
- Yohji Yamamato, der “Schneider von Tokio”, berühmter Designer, entwirft die Kostüme für Tristan und Isolde in Bayreuth / Inszenierung: Heiner Müller, Bühnenbild: Erich Wonder / Ein Beitrag zur fernöstlich-europäischen Kommunikationsbrücke –
- Text
- Tristan und Isoldes Kleider - -
- Alexander Kluge
- Herr Yamamato, Sie entwerfen die Kostüme für Tristan und Isolde. Was werden das für Farben sein?
- Yohji Yamamato (durch Übersetzer. Wechsel zwischen erster und dritter Person im folgenden Text sind durch die Simultanübersetzung verursacht)
- Ohne Farbe.
- Kluge
- Keine Farbe. Was heißt keine Farbe?
- Yamamoto
- Für ihn ist es im Moment so, dass er nur einen schwarzen Schatten vor Augen sieht. Er kann jetzt gar nicht definitiv sagen, was für eine Farbe. Er sieht nur jetzt, Moment, nur Schatten. Schwarze Schatten.
- Kluge
- Wenn Sie mir einmal Ihr Bild von Tristan und Isolde schildern. Denken Sie da an japanisches Mittelalter, oder deutsches Mittelalter, oder gar nicht?
- Yamamoto
- Er denkt an das Mittelalter in China.
- Kluge
- Was ist das Mittelalter in China?
- Text
- Übersetzung: Natsue von Stegmann
- Yamamoto
- Die Qing Epoche ist grade zu Ende gegangen in China, und er denkt nicht an eine bestimmte Zeit, sondern bis Qing, diese Epoche, wo ein Kaiser oder sogenannter Fürst regiert hat. Und da hat der Fürst oder sogenannte Herzog – oder sagen wir Herrscher – der Herrscher hat immer seine Frauen gehabt, oder Frau, und die beiden konnten immer seine Politik oder seine Zeit, Epoche, völlig ändern, also von beiden stammt die damalige Geschichte her. Also sie konnten, grob gesagt, Geschichte machen. Und diese große Skala hat eigentlich Tristan und Isolde. Deswegen denkt er an diesen Zeitraum in China, das heißt diese kaiserliche Epoche in China.
- Kluge
- Also allmächtige Herrschaft.
- Yamamoto
- Allmächtige Herrschaft, die also mit einer Frau immer etwas machen konnte.
- Kluge
- Liebe auf dem Hintergrund von allmächtiger männlicher Herrschaft.
- Text
- Yohji Yamamoto, u.a. Kostümbildner für Tristan und Isolde
- Kluge
- So dass Isolde auch ein ganzes Reich ist, ein Land ist.
- Yamamoto
- Ja, so fühlt er.
- Kluge
- Ich möchte noch etwas mehr über die Schatten wissen. Die Nicht-Farbe, also die Schatten, von denen Sie sprachen.
- Yamamoto
- Diese Schatten, dieses Image, kommt natürlich von der Inszenierung von Herr Müller und dem Bühnenbild von Herr Wonder, wir haben schon darüber gesprochen, da bin ich natürlich beeinflusst, dem muss ich ja auch folgen. Aber nachdem ich mit beiden gesprochen habe über das Konzept, und was sie denken; und dann habe ich mir ein Bild gemacht, nachdem ich die Musik gehört habe und das Konzept von beiden, und die Story natürlich dazu. Und da habe ich ein Image im Kopf, das heißt eine Frau – jeder hat zwei Schatten, das heißt als Herrscher ein Schatten, und als Mann ein Schatten. Und die Isolde hat auch als Frau einen Schatten, und dann noch zusätzlich als Herrscherin auch einen. Also somit ist mein Kostümbild doppelschattig.
- Kluge
- Und wenn Sie das nochmal beschreiben – wie stelle ich mir das vor? Wie erzeugen Sie diesen doppelten Schatten?
- Yamamoto
- Er ist jetzt natürlich gerade am Überlegen, wie man das am besten lösen könnte. Aber ich kann nur nennen, ein schlechtes Beispiel wäre wie beim Kabuki, ein schnelles Umziehen – das heißt, wenn man irgendwas anfasst, zack, ist es ausgezogen, das heißt, das andere Kleid ist da.
- Kluge
- Und das wäre eine schlechte Lösung.
- Yamamoto
- Das meint er als schlechte Lösung. Er muss in einem Kostüm zwei Kostüme …
- Kluge
- … zwei Persönlichkeiten vereinigen, den Herrscher und – die beiden Schatten können sich voneinander nicht trennen. Man kann nicht Nicht-Herrscher sein als Frau, und man kann nicht Frau sein, ohne Herrscher zu sein zugleich.
- Yamamoto
- Ja, jeder tritt auf seinen Schatten und kommt nicht raus. Das heißt, man kann sich nicht ändern. Ich möchte jetzt mal Herrscher sein, das geht nicht. Man stolpert über seinen Schatten. Er kann sich nicht in diesen Schatten stecken oder in einen andern Schatten stecken, also das ist natürlich immer -
- Kluge
- So dass also gewissermaßen eine Verwicklung in die Gewänder stattfindet?
- Text
- Yohji Yamamoto, u.a. Kostümbildner für Tristan und Isolde
- Yamamoto
- Sicher, also daran kann man auch von mir aus denken, aber das muss man natürlich mit Herrn Müller abstimmen, weil seine Bewegung, seine Inszenierung, seine Personenführung – davon hängt es auch ab.
- Kluge
- In einer sehr frühen Phase hat Herr Müller uns hier erzählt, dass er gerne Laokoon nachahmen würde. Laokoon ist eine Figur, eine antike Skulptur, in der ein Mensch mit seinen Kindern versucht, sich gegen die Umarmung der Schlange zu wehren. Sie kennen Laokoon. Also Heiner Müller sagte, der Mantel zieht den Herzog herab. Das ist ein Bild von Schiller.
- Text
- FIESCO: Was zerrst du mich so am Mantel? (er fällt!)
- VERRINA
- (mit fürchterlichem Hohn) Nun wenn der Purpur fällt, muß auch der Herzog nach. (Er stürzt ihn ins Meer)
- FIESCO
- (ruft aus den Wellen) Hilf, Genua!
Friedrich Schiller, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
- Kluge
- Do you speak English? At the end of Fiesco by Schiller, the duke, a very powerful man from Renaissance, is torn down by his clothes. He is not defeated by his enemies, he is defeated by his coat, meaning his power. And this is something like the shadow you speak of, and this has been one idea of Heiner Müller, once. Second is Laokoon, and third would be – eine Schnecke, who always carries a complete house with herself. Im 19. Jahrhundert versucht Wagner noch etwas anderes. Nicht die Gewänder, sondern der Wille ist dasjenige, das die Menschen unterscheidet. Das kann man jetzt ausdrücken durch die Schatten, den Kampf der Schatten.
- Yamamoto
- Ich glaub schon. Ich glaube, das ist meine Arbeit, und warum ich ausgewählt wurde, ist sicher so, an diesen Fragen liegt es, meine ich.
- Kluge
- Wie haben Sie Heiner Müller zum ersten Mal gesehen?
- Yamamoto
- Vor einem Jahr.
- Kluge
- Wenn Sie mir einmal beschreiben – Sie treffen auf ihn. Heiner Müller ist niemand, der viel spricht.
- Yamamoto
- Er kam plötzlich zu ihm, durch irgendeine Vermittlungsperson. Also er hat einen völlig anderen Eindruck gemacht als ich eigentlich so erwartet habe. Und er war sehr funny, also das kann man sagen. Also wir haben uns zusammengesetzt und die ganze Nacht durchgetrunken und geplaudert, und es war ganz lustig. Und er erklärte mir, also die drei Mädchen von meinem Büro, die drei liebe ich. Also das war ganz funny und gar nicht so kompliziert wie ich eigentlich erwartet habe, der war völlig anders.
- Kluge
- Aber beide sind eigentlich eher zurückhaltend. Schweiger.
- Yamamoto
- Wir haben eigentlich nur über ganz gewöhnliche – uns auf ganz niedrigem Niveau unterhalten, und da konnte man natürlich stundenlang über dies und jenes, also solche allgemeinen Themen sprechen.
- Kluge
- Sie sagten vorhin, die Story von Tristan und Isolde. Ich hätte gerne mal, dass jemand, der von so weit herkommt wie Sie, mir die Geschichte von Tristan und Isolde erzählt.
- Yamamoto
- Ich dachte darüber: Unsere Erfahrung von unseren Dichtern, oder unserer Geschichte, verglichen damit, dachte ich mir, dass es sich sehr stark auf die Frau konzentriert. Das Dasein von Frauen kam sehr stark raus, in diesem Mythos. Also das ist für mich was völlig anderes. Weil von japanischen Schriftstellern oder japanischen -
- Kluge
- Die eine Frauenverehrung dieser Art nicht kennen.
- Yamamoto
- Ja. Das heißt, heutzutage, japanische Herren heutzutage müssen das schon erfahren und mitbekommen, aber als Literatur ist es natürlich sehr selten in Japan.
- Kluge
- Und jetzt kommt hier eine neue Linie, die unseres Jahrhunderts. Und ich habe Sie immer so verstanden, dass Sie sagen, zunächst einmal keine Farbe, keine Farbe ohne Grund. Wirkung ohne Ursache ist Effekt, sagt Richard Wagner. Und Effekt ist verboten. Ist das Ihr Grund für Schwarz?
- Text
- “Wirkung ohne Ursache ist Effekt –” Richard Wagner
- Yamamoto
- Erstmal möchte ich nicht von Farbe beeinflusst werden. Ich möchte nicht von der Farbe beeinflusst werden. Für mich ist ein Mensch ziemlich monoton. Ob weiße, schwarze oder gelbe Haut ist egal. Also monoton. Und in monoton ist der Mensch sehr schön. Als Japaner – er hat den ganzen Krieg miterlebt, und nach dem Krieg war alles schwarz, tot. Und dann hat man plötzlich die Kultur wiederbelebt, und dann kamen alle Farben und alles durcheinander raus. Und das war dann nicht mehr schön, dass war dann für meine Augen schmutzig. Und da wollte ich das wieder etwas einordnen und klar haben. Und weil ich das miterlebt habe im Krieg, und Nachkriegszeit und so, deswegen möchte ich wieder zu den Ursprüngen zurückkehren.
- Text
- Yohji Yamamoto, u.a. Kostümbildner für Tristan und Isolde
- Kluge
- Also die Stunde Null. So dass wir also ein ganz neues Leben noch anfangen in den 90er Jahren, das mit ‘45 beginnt.
- Yamamoto
- Ja ja, es ist etwas übertrieben, aber ja.
- Kluge
- Wenn Sie mir jetzt nochmal – Sie hatten vorhin die Geschichte von Tristan und Isolde auf China, und zwar auf die Zeit vor der Qing Dynastie beschrieben. Da hätte ich gerne, dass Sie mir mal diese Tableaus, also die wichtigen Punkte der Geschichte – die Sonne, der beste Freund, Garten in der Nacht, diese Elemente …
- Yamamoto
- Das ist halt das Gift … die erzwungen wurde …
- Kluge
- Die Liebe, die erzwungen wurde durch den Liebestrank.
- Yamamoto
- Für mich ist Tristan sehr intelligent, aber sagen wir mal sehr scharf auf Frauen, ganz einfach gesagt.
- Kluge
- Ein Gieriger.
- Text
- TRISTAN: “Ein Held aus Watte –”
- Yamamoto
- Aus Watte.
- Kluge
- Er ist aus Watte. Er saugt alles auf.
- Yamamoto
- Er ist aus Watte, und er zieht alles rein.
- Kluge
- Und sie?
- Yamamoto
- Für mich ist sie ein goldener Löwe. Glitzernder goldener Löwe.
- Kluge
- Ist der goldene Löwe ein Begriff im Japanischen?
- Yamamoto
- Nein, es gibt keinen Begriff. Nur er sieht einen goldenen Löwen in ihr. Das heißt, es kann sein, dass sie mich beißt, aber sie ist doch golden – also Macht halt.
- Kluge
- Das ist also kein goldener Löwe aus Metall. Ein Lebewesen. Ein Raubtier.
- Yamamoto
- Es ist folgendes: Der Löwe ist schon ein lebender Löwe, aber strahlend gold, und aus Gold vielleicht auch, aber kein Schmuck natürlich. Aber wenn sie hier sitzt und geht weg, dann bleibt ein goldener Hauch zurück.
- Text
- “Kostüm und Tod” / Tod der Isodora Duncan
- Kluge
- Die Tänzerin Duncan hatte einen großen Schal, und der Schal wickelte sich um die Reifen des Autos, und sie wurde davon erwürgt. Das ist ein Gewand. So etwas kommt nicht vor.
- Yamamoto
- Nein.
- Text
- TRISTAN AUS WEITER FERNE – / Porträt von Yohji Yamamato, der die Kostüme zu Tristan und Isolde für Bayreuth entwirft –
- Text
- Tristan und Isoldes Kleider –