Balladenmagazin Nr. 9: “Die Liebe stört der kalte Tod”
Transkript: Balladenmagazin Nr. 9: “Die Liebe stört der kalte Tod”
Die Liebe stört der kalte Tod
- Text
- 10 vor 11. TEN TO ELEVEN
- Text
- Die grausame Stiefmutter / Grablied des Kosaken (Tschetschenien) / Ein schrecklicher Schiffsuntergang / Die Kindsmörderin (Friedrich Schiller) / Kaiser Maximilian von Mexiko / Im Jahrhundert der Pest (Heiner Müller) / Meine Gefühle (Ingeborg Bachmann) - -
- Text
- BALLADENMAGAZIN NR. 9 “Die Liebe stört der kalte Tod”
- Alexander Kluge/Text
- “Das Dichten ist darum ein Gewässer, das bisweilen rückwärts fließt der Quelle zu. Zum Denken als Andenken - - "
- Text
- Martin Heidegger
- Kluge/Text
- Eine grausame Stiefmutter, oder: Gott ist gerecht
Die Liebe stört der kalte Tod,
die Frau rafft er dahin;
Der Mann führt eine Andre ein,
Doch alles war ein falscher Schein,
Sie war voll Tyrannei.
Denn in die Grube, unerhört,
Wirft sie das Kind hinein.
Doch wie sie’s mit dem Kind gemacht,
so tat man auch ihr an,
sie sank zur Erde finstr’er Nacht, - -
zur Straf’, was sie getan.
- Kluge/Text
- Die Opfer der Arbeitervereine zu Sheffield in England
Schrecklich ist es anzuhören was in Sheffield ist geschehn,
Wo Maschinen man zerstören, Menschen morden hat gesehn /
Ach, der Unterschied der Stände, Wie ist er in England groß;
Da entstanden die Vereine, Rettung schaffen wollten sie
Es entflammt ihr Herz die reine, Edle Seelensympathie.
Doch in Sheffields Mauern lebte Broadhead, der ein Sekretär,
meinte, dadurch viel zu nützen, Daß den Gegner er verletzt.
Lindley, Parker mußten sterben Durch verworfnen Meuchelmord.
Überall in England treten Die Vereine jetzto auf.
Rein sind sie von den Verbrechen, Das verdammet arg ihr Mund,
Denn so darf kein Mensch sich rächen, wie’s durch Broadhead wurde kund.
Höher aber immer streben Wird der Arbeit rüst’ge Schaar,
Bis daß ihnen wird gegeben, was ihr Wunsch von jeher war.
Dann wird keine Unthat trüben Uns’re Zeit, so freigesinnt,
Bruder wird den Bruder lieben, weil wir Alle Brüder sind - -
- Kluge/Text
- DER SCHRECKLICHE SCHIFFSUNTERGANG DER TIMBRIA am 10. Januar 1881, wobei 416 Personen ertranken
- Kluge/Text
- Frohen Muts, bei günst’gem Winde,
Flog dahin die stolze Timbria
Fahren wollte sie geschwinde
Ferne nach Amerika …
- Kluge
- Als Cuxhaven ist vorüber
sank ein starker Nebel nieder
auf das große weite Meer.
- Kluge/Text
- Plötzlich kracht’ es
von der Seite,
“Sultan” fuhr direkt sogar
Aus der grauen Meeresweite
Los auf Dampfschiff “Timbria”.
Wenige sind nur entkommen.
Ach, vielleicht der achte Teil,
Findet noch am Leben Heil.
- Wolf Biermann (Song)
- Was wird bloß aus unsern Träumen? Was wird bloß aus unsern Träumen?
In diesem zeriss’nen Land
Die Wunden wollen nicht zugehn, wollen nicht zugehn
unter dem Dreckverband
Und was wird mit unsern Freunden? Und was wird mit unsern Freunden?
Und was wird aus dir, aus mir?
Ich möchte am liebsten weg sein
und bleibe am liebsten, am liebsten hier.
Ich möchte am liebsten weg sein
und bleibe am liebsten hier, am liebsten.
- Kluge/Text
- Der Tod auf den Schienen
Sie ging von Hamburg bis nach Bremen
Von dort bis zu der Eisenbahn,
Sie legt ihr Haupt da auf die Schienen
Bis daß der Zug von Barmbeck kam /
Die Führer hatten’s wohl gesehn
Und bremsten an mit starker Hand /
Jedoch der Zug, er blieb nicht stehen,
Ihr rotes Blut floß in den Sand.
Die Leute aus dem Dorfe kamen
und nahmen sich der Leiche an
Sie täten sie gar schön begraben,
weil sie’s aus Liebe hat getan /
- Text
- FRIEDRICH VON SCHILLER Die Kindsmörderin (1782)
- Text
- Nimm, o Welt, die letzten Abschiedsküsse!
Diese Tränen nimm, o Welt! noch hin.
Fahret wohl, ihr Freuden dieser Sonne,
Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Seine Segel fliegen stolz vom Lande!
Meine Augen zittern dunkel nach;
Deine Mutter – oh, im Busen Hölle!
Einsam sitzt sie in dem All der Welt,
Seht!
da lag’s entseelt zu meinen Füßen, -
kalt hinstarrend, mit verworr’nem Sinn
Schönheit war die Falle meiner Jugend
Auf der Richtstatt hier verfluch’ ich sie! -
- Kluge
- Ein Türke wird festgenommen, der ein Gewehr bei sich trägt.
- Polizist
- Was sind Sie, Türke, oder?
- Türke
- Ja.
- Polizist
- Ja. Sie können heute an diesem Tag nicht mit diesem Gewehr hier in der Stadt nicht rumlaufen.
- Türke
- [UNVERSTÄNDLICH]
- Polizist
- Ja, gekauft, schon …
- Türke
- [UNVERSTÄNDLICH] … wegmachen …
- Kluge
- Er erklärt, ich wollte mir eine Taube zum Mittagessen schießen.
- Polizist
- Wann haben Sie das gekauft, heute, oder?
- Türke
- [UNVERSTÄNDLICH]
- Kluge
- Auf die Ermordung Alexander II. Frank Wedekind.
Furchtbar reift des Bösen Saat!
Himmel, welch ein Attentat!
Zwei Studenten sollen morgen
Die verruchte Tat besorgen.
Wie gekommen sie im Stillen,
Gehen sie nun auseinander.
Weh dir, Kaiser Alexander,
Deine Zeit tät sich erfüllen.
- Voice-over
- Hallo!
- Kluge/Text
- Er wurde für die Marine bestimmt und trat im Jahr 1854 als Contreadmiral an die Spitze der Österreichischen Flotte,
- Text
- Maximilian
- Kluge
- die unter seiner Leitung sehr gehoben und verstärkt wurde. Im Jahr 1856 verlobte er sich mit der Prinzessin Charlotte,
- Kluge/Text
- der Tochter des Königs Leopold der Belgier, die er am 27. Juli des nämlichen Jahres als sein eheliches Gemahl heimführte / Mexiko, der älteste Staat in Amerika, befindet sich seit Jahren in steter Aufregung /
- Text
- Benito Juárez
- Kluge/Text
- Dieser merkwürdige Mann ist indianischen Stammes, aus einem kleinen Gebirgsdorfe in der Sierra de Djaca geboren! Schon als kleiner Knabe mußte er sich seinen Lebensunterhalt selbst erwerben / Er erwarb sich die Gewogenheit seines Herrn und wurde Ladendiener, später besuchte er die hohe Schule, studierte die Rechte und wurde Advokat / Hierauf ward er Justizminister und im Jahre 1862 constitutioneller Präsident / Als der Kaiser Maximilian im Gefolge österreichischer und französischer Truppen landete, zog Juarez sich zurück.
- Text
- Benito Juárez als Präsident von Mexiko
- Kluge
- Nichtsdestoweniger blieb er in den Augen des Volkes Präsident
- Kluge/Text
- Die Lage des Kaisers Maximilian war in der Zeit unhaltbar geworden / Da zog der Kaiser, schon von Verrath von allen Seiten umgeben, in die von Feinden bedrohte, befestigte Stadt Querataro / Hier ereilte ihn sein Schicksal / Sein Adjutant Lopez verrieth ihne gegen Zahlung von 20.000 Realen und überlieferte den unglücklichen Fürsten, sowie seine beiden Generäle, Miramon und Wejia, ihren Feinden aus. Trotz den Bemühungen aller Mächte und dem Einschreiten des Bevollmächtigten der vereinigten Staaten gelang es doch nicht, den Fürsten zu retten / Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, welches ihn zum Tode verurtheilte / Das Urteil wurde denn auch an ihm und seinen beiden Generälen am 19. Juli 1867 vollstreckt / Die Weste Maximilians nach der Erschießung (Einschüsse) / Der tote Kaiser
- Kluge/Text
- Im Jahrhundert der Pest
Wohnte ein Mann in Bow, nördlich London,
Bootsführer, mittellos, ohne Ansehen, aber
Treu den Seinen. Umsichtig auch
In der Treue.
Aus den Städten unten
Wo die Pest war
Schleppte er das Essen aufwärts
zu den wohlhabenden Ängstlichen
Auf ihren Schiffen
In der Mitte des Stroms.
So nährte ihn die Seuche.
Aber in der Hütte
bei der Frau mit dem Vierjährigen
War die Pest auch.
Und jeden Abend schleppte er einen Sack Lebensmittel,
Frucht eines Tages, vom Fluß herauf an einen Stein,
hundert Schritte von der Hütte.
Dann, sich entfernend, rief er die Frau. Beobachtend,
Wie sie den Sack aufhob, jede ihrer Bewegungen aufmerksam verfolgend
Stand er noch eine Zeit
In der sicheren Entfernung
Und erwiderte ihren Gruß.
- Text
- GRABLIED DES KOSAKEN
Ein taubenfarbiger Adler saß /
Und er pflegt den Kosaken, bringt Trost ihm dar /
Hüpft um sein Haupt mit dem Lockenhaar.
“Sei, grauer Adler, mein Bruder du!
Und wenn du anfängst, o Bruder Uar,
Mir auszuhacken mein Augenpaar,
Flieg, fliege zu meiner Mutter hin!
Bring der Mutter, der vor Gram sich verzehrenden,
Kunde vom Sohne, dem nimmer kehrenden”/
- Kluge/Text
- Daß ich sehen kann, daß ich hören kann, das verdiene ich nicht. Aber meine Gefühle, die verdiene ich wahrhaftig,
- Kluge
- diese Reiher über weißen Stränden, diese Wanderer nachts, die mein Herz zur Landstraße nehmen. Ingeborg Bachmann, Das dreißigste Jahr
- Kluge/Text
- Seht, das steht das Ungeheuer,
Namens Jakob Niedermeier!
Der, nachdem er anfangs Schreiber,
Später Mörder ward, und Räuber /
Als dies aber aufgekommen,
Hat man ihn in Haft genommen
Und man faßte den Beschluß,
Daß man Jakob köpfen muß /
Man vergaß jedoch hierbei,
Daß der Jakob bucklig sei;
Und, sieh da, am Hochgericht - -
Ach, herrje! da ging es nicht /
- Text
- BALLADENMAGAZIN NR. 9 “Die Liebe stört der kalte Tod”
- Text
- 10 vor 11. TEN TO ELEVEN