Demokratie als Allesfresser

Demokratie als Allesfresser

Heiner Müller über den Satz: "Einverständnis dehnt sich aus"

Information

Sammlung
Heiner Müller
Mit
Heiner Müller
Dauer
00:24:00
Datum
20 März 1995
Sendung
Montagssjournal

Beschreibung

In diesem Montagsjournal spricht Alexander Kluge mit Heiner Müller über Abgründe und Unausweichlichkeit der Demokratie - Demokratie, sagt Heiner Müller, hat ihre Wurzel in der Tragödie der Atriden.

Mit Bezug auf die Fatzer-Fragmente von Bertolt Brecht, sprechen Kluge und Müller über das Lernen. "[Wichtig] Zu lernen vor allem ist Einverständnis“ (Brecht) - Müller konstatiert, dass das Einverstandensein mit Entwicklungen oder Prozessen die Grundlage ist für einen Erkenntnis- und Lernprozess und Kluge erläutert das Wesen des Pädagogen.

Als Anfang der Demokratie sieht Müller die Geschichte der Atriden, deren Besonderheit die Einmischung und Manipulation durch die Stimme der Athene darstellt. Die Göttin mischt sich als Nicht-Stimmberechtigte ein, ihre Stimme entscheidet aber im Endeffekt - Athene als Städterin und "Souffleuse der Vernunft" (Kluge). Ernst Jünger stünde einer auf diese Weise entstandenen Demokratie misstrauisch gegenüber.

Müller bezeichnet es als das Wesentliche der Demokratie, dass sie ein System darstellt, das jeden Widerstand verarbeiten kann. Auch Utopien - also Gegenentwürfe zur Demokratie - können nur in demokratischen Systemen selbst entstehen. Außerdem kann sie eigentlich alles essen - "Demokratie als Allesfresser" (Kluge).

Mit dem Begriff Allesfresser meint Kluge das demokratische Prinzip, das alles verdauen kann. Müller sieht die Schwächen der Demokratie als ihre Stärken an, sie ist kein vulkanisches, sondern ein neptunisches Prinzip ("Eher Wasser als Feuer").

Im weiteren Gespräch kommen geht es anhand verschiedener Beispiele (Solschenizyn, Schukow, Peter der Große, Tarkowski, Eisenstein) immer wieder um Überlegungen zu "Raumschaffenden Momenten", die man vielleicht als tatarisch (Kluge) oder asiatisch (Müller) bezeichnen könnte, und das Ausdehnen als das Problem des Einverständnisses, das solange voranschreitet, bis es stillsteht. Steht es still, kann es wieder eine neue Bewegung geben.