Einstürzende Neubauten
Transkript: Einstürzende Neubauten
Einstürzende Neubauten
- Text
- F.M. EINHEIT / EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN / Eine der erfolgreichsten deutschen Gruppen: Einstürzende Neubauten / Japantournee, Zusammenarbeit mit Heiner Müller, Sao Paulo usf. / F.M. Einheit: Mitglied der Gruppe, genannt “Mufti”, “Schlagwerker”, früher ABWÄRTS / Musikmagazin - -
- Text
- Einstürzende Neubauten
- Text
- Blixa Bargeld
- Text
- “Fütter mein Ego” / Jü Gung
- Text
- Einstürzende Neubauten
- Text
- “Fütter mein Ego” / Jü Gung
- F. M. Einheit
- “Neubauten” ist ja irgendwie… Gerade der Begriff “Neubauten” ist ja ein ziemlich deutscher Begriff. Er betrifft ja alles das, was nach dem zweiten Weltkrieg aufgebaut worden ist.
- Alexander Kluge
- Was nicht Altbauten sind.
- Einheit
- Ja eben. Da wir damit zum größten Teil nicht einverstanden sind, war der Begriff “Einstürzende Neubauten” – auch bezogen auf die Musik, den amerikanischen Einfluss auf die deutsche Musik – …
- Text
- F.M. Einheit
- Kluge
- Das sind auch Neubauten, sozusagen…
- Einheit
- Genau. Dachten wir, das wär eigentlich für das, was wir machen, genau der richtige Name.
- Kluge
- Man hat auch ein bisschen sowas gehört… Früher hieß es aber “Abwärts”?
- Einheit
- “Abwärts” ist eine andere Band.
- Kluge
- Eine andere Band… die gibt’s auch noch?
- Einheit
- Die gibt’s auch noch, aber da bin ich nicht mehr dabei.
- Kluge
- Was war das Spezialistische von denen?
- Einheit
- Das war vielleicht mehr so in die Richtung von “Ton, Steine, Scherben”, mit viel stärkerem politischen Anspruch eigentlich als “Neubauten”.
- Kluge
- Wenn wir mal den Anspruch von “Neubauten”, also was ist die Richtung, wie würde man sich das…
- Einheit
- Platz schaffen…
- Kluge
- … Platz schaffen…
- Einheit
- … eigentlich. Alles, was einem aufgedrückt worden ist, irgendwie wegzumachen. Und irgendwie dann aus den Trümmern sich was Neues aufzubauen, praktisch eine eigene Sprache zu erfinden.
- Text
- “Platz schaffen - -”
- Kluge
- So wie das Kolosseum benutzt wurde, indem man diese Steine nimmt und darauf neue Paläste baut…
- Einheit
- … vielleicht so, ja…
- Kluge
- … oder wie ein Luftangriff…?
- Einheit
- Einen Palast wollte ich nicht unbedingt bauen…. Luftangriff wollt ich auch nicht machen.
- Text
- “Hören mit Schmerzen”
- Kluge
- Eine Kongresshalle?
- Einheit
- Na, die ist ja eingestürzt, nachdem wir uns formiert haben… am selben Tag.
- Kluge
- Ach… Also die ist aus, da, in Berlin; die ist eingestürzt.
- Einheit
- Am selben Tag, als die Band angefangen hat, zu existieren.
- Text
- “Schrott gehört zur Musik”
- Kluge
- Man sagt ja, daher kommt der Name auch.
- Einheit
- Ja, das ist natürlich eine schöne Geschichte, die man sich da zurecht biegen kann irgendwie… “Ja, genau, deswegen haben wir uns so genannt…”
- Text
- Bühnenmusik zu “Nathan der Weise” von F.M. Einheit
- Kluge
- Sie haben in Kassel “Nathan der Weise” gemacht. Wenn Sie mir mal beschreiben, “Nathan der Weise”, was seh ich da?
- Einheit
- Also was mich daran interessiert war eigentlich… ich hab eine sehr große Abneigung gegen Religionen. Und irgendwie da konnte man sich gleich wunderbar mit drei verschiedenen auseinandersetzen. Das hat mich gereizt. Weil erstmal…
- Kluge
- Das ist richtig das Theaterstück von Lessing…
- Einheit
- Das ist eigentlich auch ziemlich werkgetreu inszeniert worden.
- Kluge
- Was ist denn das für ein Stück? Was sieht man da? Der Nathan ist ein Jude, ein Handelsmann. Und dann kommt so ein Tempelherr vor. Das ist ein Deutscher, der ein bisschen… rassisch hoch stehend, aus Kaisergeschlecht.
- Einheit
- Kann man so sagen, ja…
- Kluge
- Und der liebt eine junge Jüdin, der er das Leben gerettet hat.
- Einheit
- Der Kern des Stückes ist eigentlich, dass Lessing sagt, irgendwie… Toleranz. Drei verschiedene Religionen: das Judentum, das Christentum…
- Kluge
- … Saladin der Zweite, Islam…
- Einheit
- Ja. Dass die sich eigentlich verstehen müssen, das ist eigentlich die Kernaussage des Stückes. Und als wir das Stück inszeniert haben, brach halt grad auch irgendwie der Golfkrieg aus. Also von daher…
- Kluge
- Der ja auch die drei Truppen hat. Also der Tempelherr, das wäre Bush….
- Einheit
- Genau.
- Kluge
- Wenn ich das Stück “Fütter mein Ego” höre, oder “Yü Gung”…
- Einheit
- …“Yü Gung” heißt es, aber “Fütter mein Ego” ist eigentlich der Hauptsatz in dem Stück…
- Kluge
- … wie ist sowas gebaut?
- Einheit
- Jetzt einfach von der Technik her?
- Kluge
- Ja. Man versteht den Text nicht; also, wenn man es das erste Mal hört, hört man fragmentierte Worte.
- Einheit
- Ja, es ist aber auch zum größten Teil fragmentiert. Es gibt einfach einige Kernsätze, die eigentlich immer wiederholt werden.
- Kluge
- Zum Beispiel?
- Einheit
- “Ich bin zwölf Meter groß”, “ich bin neun Meter groß”, “alles ist unvorstellbar”… und “Fütter mein Ego”. Ja, wie ist das gebaut? Es ist halt diese Fabel von Mao, von einem Volk, das… von einem Dorf, genauer gesagt, das…
- Kluge
- … die immer diesen Berg sehen…
- Einheit
- … ja, genau, das ist hinterm Berg, und die kriegen nie die Sonne mit. Und aber kraft ihres Willens schaffen sie es, diesen Berg zu versetzen, eine Handvoll Leute.
- Kluge
- Yü Gung sagt, jede Schaufel, die wir dem Berg wegnehmen, wird der Berg kleiner, aber größer wird der nicht von selbst, das ist glaub ich…
- Einheit
- Genau.
- Kluge
- Und das ist so eine Ameisentheorie; also wenn man ein paar Millionen Schaufeln weggenommen hat, dann kommt die Sonne durch.
- Einheit
- Und das halt kombiniert mit übermäßigem Drogenkonsum. Und es fängt an das Stück eigentlich, dass wir den typischen Klang eines, sagen ich mal, Drogenusers nehmen…
- Kluge
- Ein Drogen …?
- Einheit
- Ein Drogen-User… jemand der Drogen nimmt…
- Kluge
- User… ja…
- Einheit
- … ich sag mal, Kiffer, Kokser, was auch immer. Und der hat da halt irgendwie eine Rasierklinge und hackt. Seinen Spiegel, seinen Krug. Und das ist eigentlich der ganze Rhythmus aus dem Stück. Die ganze Zeit irgendwie speedhacken. Das geht die ganze Zeit durch. Also so hat’s angefangen, eigentlich…
- Kluge
- Und wenn jetzt diese Truppe, die da links sitzt – ihr sagt ja nicht Schlagzeuger, sondern ihr sagt…?
- Einheit
- Schlagwerker ist eigentlich noch der beste Ausdruck.
- Kluge
- Und was macht ihr beiden da…? Neben dir, der heißt…?
- Einheit
- Das ist Andrew. Andrew ist eigentlich derjenige, der die ganzen Instrumente erfindet.
- Kluge
- Die sind also vom Schrottplatz, das sind technische Einrichtungen, das sind also gefundene, gemachte…
- Einheit
- Also teilweise sind es einfach Sachen, die man findet, und teilweise oft, dass man sich ganz klar überlegt, was will man für einen Klang haben, und daraufhin baut man sich halt irgendwas. Und der hat halt zwei Stahlfedern genommen, hat da Tonabnehmer dran gemacht, und das ist so eine Art Bass Drum, also die “große Fußtrommel”. Und die Snare, das ist in Deutsch die… Schnarren?… Scharrentrommel, glaub ich… ist einfach ein Stück Blech. Und das hat er auf einen Fensterrahmen montiert aus Eisen, und das ist ein ganz wunderbares, praktisches Reiseschlagzeug.
- Kluge
- Ein Reiseschlagzeug?
- Einheit
- Ja…
- Kluge
- Kannst du überall hintragen…
- Einheit
- … ja…
- Kluge
- … überallhin mitnehmen.
- Einheit
- Ja, und da wir ja ziemlich viel unterwegs sind, ist das praktisch. Weil sonst müsste man in jeder Stadt ja wieder neu losziehen und sich neue Instrumente suchen – was wir teilweise auch machen müssen.
- Kluge
- Und was machst du? Was sind deine Geräte da?
- Einheit
- Verschieden…
- Kluge
- Also in dem Fall jetzt, bei Yü Gung…
- Einheit
- In dem Fall spiel ich das Instrument, das er gebaut hat. Und Andrew spielt auf einem Amboss.
- Kluge
- Und was macht Blixa Bargeld?
- Einheit
- Blixa Bargeld…
- Kluge
- Wie verformt er die Worte? Also das sind ja eigentlich, in dem Buch liest man ja, dass das ein Text ist. Und er macht ja nun mit dem Text alles Mögliche, mit der Kehle, mit seiner Stimme…
- Einheit
- Jeder Sänger hat seine Art zu phrasieren, und Blixa hat eben seine ganz spezielle Art zu phrasieren…
- Kluge
- Phrasieren ist ein kühnes Wort; das ist ja so, dass man nur Teile… Man versteht Ahnungen von Text.
- Einheit
- Also Texte macht Blixa, ausschließlich. Aber die ganze Musik ist ein echtes Gemeinschaftsprodukt.
- Kluge
- Nun hat dich unser Kameramann beobachtet, wie du Töne bei Karstadt findest…
- Text
- Wie findet man Töne?
- Einheit
- Ja, das war lustig…
- Kluge
- Wenn du das mir mal erzählst.
- Einheit
- Da lief eigentlich grade…
- Kluge
- Sommerschlussverkauf…
- Einheit
- Ja, ich hab da grad auch mit dem Wolf Sesemann, mit dem ich auch den “Nathan” gemacht hab, an einem Stück von der Elfriede Jelinek gearbeitet, und zwar heißt das “Krankheit oder moderne Frauen”. Und das ist tatsächlich in dem Text auch vorgeschrieben, dass… da braucht man Kaufhausmusik. Und ich brauchte dafür irgendwas, was Hysterie und Panik… und ich dachte, Hausfrauen beim Sommerschlussverkauf ist gerade die Hysterie, die ich brauche. Und da sind wir gegangen und haben das aufgenommen.
- Kluge
- Was nimmst du da auf? Also du hältst ein Mikro…
- Einheit
- Schwer zu sagen, also ich…
- Kluge
- Was ist das für ein Gerät?
- Einheit
- Ein tragbarer DAT-Rekorder…
- Kluge
- Und da gehst du dann sozusagen ganz dicht, wo hinter den Stoffstreifen…
- Einheit
- Ich versuch so nah wie möglich ranzukommen, aber oft…
- Kluge
- Die wühlen…
- Einheit
- Man weiß meistens gar nicht so genau, was einen erwartet; man muss halt einfach offen sein und gucken. Und das ist dann einfach toll, wenn dann irgendwelche schwachsinnigen Ansagen aus den Lautsprechern kommen, dass die Kassiererin dahin muss… Und nebenan war dann gleich der Coffee Shop, dann hört man die ganze Zeit Kaffeetassen klappern. Man weiß es halt vorher nicht. Man geht, und ich kann mir nur die Situation vorstellen, die interessant sein könnte, und dann schau ich, was da passiert.
- Kluge
- Und in der Munitionsfabrik, was waren da für Töne? Da sind ja jetzt keine Menschen, nicht? Also hier im Kaufhof, das ist ja…
- Einheit
- Das war wirklich irre, vielleicht kann ich so… Das, was da passiert ist, steckt in dem Gemäuer noch drin.
- Kluge
- Also gefrorene Töne…
- Einheit
- Ja, so könnte man es sagen.
- Kluge
- Bei Münchhausen ist es doch so, weil’s so kalt ist in Russland, da friert der Ton des Posthornisten in diesem Horn. So gefrorene Töne. Und so ist es hier, in der Munition, also in dem Schrott, da ist der Kriegskrach drin.
- Einheit
- Ja einfach die Atmosphäre, man ist ja irgendwie, alle Leute… Das ist ja ein ziemlich großer Komplex da, wo auch tatsächlich noch Leute wohnen, die haben auf die Bunker obendrauf Häuser gesetzt. Ich finde das unvorstellbar, dass man dort zum Beispiel Kinder großzieht, oder so. Weil ich hab da auch Kinder gesehen, die da leben. Aber die ganze Atmosphäre, das, was da passiert ist, steckt da immer noch drin. Worauf ich da gespielt hab, war einfach ein Überrest von irgendeiner Maschine, was da noch rumstand. Aber einfach da zu sein, hat einen doch wirklich ziemlich gepackt.
- Text
- Töne suchen auf dem Gelände der ehem. Munitionsfabrik Hirschhagen - -
- Kluge
- Wenn du mir mal die Verbindung herstellst. Das Yü Gung ist ja ein ziemlich kollektives Märchen; also wie viele Menschen hier den Berg abbauen und den Berg umrücken. “Fütter mein Ego” ist ja relativ – der Individualismus. Das koexistiert bei euch. Zwei Fragmente nebeneinander.
- Einheit
- Ja, sehr stark, sehr stark sogar.
- Kluge
- Die Seele stimmt beiden zu.
- Einheit
- Da wird dir jeder in der Band was völlig anderes dazu sagen, denk ich mir. Das ist wirklich sehr, sehr verschieden.
- Einheit
- Also erstmal sammelt man sehr viel. Allein um diese Klingen aufzunehmen, die eigentlich der Grundrhythmus des Stücks sind, wo drauf dann diese Stahlfedern kommen und das Metallblech als Schlagzeug, allein diese Klingen aufzunehmen hat einen Tag gedauert. Wir haben alle möglichen Sachen ausprobiert; eine Klinge irgendwo auf einem Klodeckel, eine Klinge auf einem Glas, eine Klinge auf einer Kassette; eine Klinge, die hackt, eine Klinge, die über irgendwas rüberzieht… Dann haben wir ein paar Stunden die besten davon ausgewählt, da sind vier oder fünf übrig geblieben, und daraus haben wir dann den Rhythmus zusammengesetzt. Das wird halt gesampelt, das heißt, man nimmt einen Ausschnitt aus einem Ton einfach, speichert den digital, und man kann das dann über den Computer abrufen und laufen lassen.
- Kluge
- Spielt ihr das jetzt alles original? Nochmal neu, oder wird da eingespielt?
- Einheit
- Also zehn Minuten immer in der gleichen konstanten Geschwindigkeit eine Rasierklinge zu hacken ist, glaub ich, unmöglich.
- Kluge
- Und das spielt ihr ein?
- Einheit
- Das spielen wir ein; das spielen wir auch live ein. Es gibt für manche Stücke Backing Tapes. Hier zum Beispiel sind die Klingen drauf. Und für den Schluss des Stückes brauchen wir ein Finale… Und dann kann man das transponieren, man kann es irgendwie umdrehen, man kann es durch Effektgeräte jagen, man kann es verbiegen, verbeulen; und das ist dann auch auf dem Backing Tape drauf, weil das kann man schlecht live machen. Das würde auch sehr langweilig aussehen, weil man müsste es nämlich mit dem Keyboard machen. Und Keyboards live wär unsexy.
- Kluge
- Und “verbeulte Töne” wär ein richtiger Ausdruck.
- Einheit
- Ja, “verbeulte Töne” ist schon ein ganz schöner Ausdruck, der gefällt mir…
- Kluge
- Und jetzt sozusagen so eine Schrottflut, zieht sich hin, da schwimmen drin jetzt Worte, Zeichen, Momente, gefundene Töne.
- Einheit
- Genau. Das sind halt irgendwie Schichten. Man hat irgendwie ein 24-Spur-Band. Früher in der 8-Spur-Arbeit musste man … das war natürlich sehr lustig, denn wenn einer da schon mal zwei Spuren haben wollte, dann musste er schon hart dafür kämpfen, die Schichten abzulegen. Mit 24 Spuren geht das dann schon ein bisschen besser. Und zum Schluss wird das arrangiert. Man schafft eigentlich erstmal eine Atmosphäre, einen Strom, wie du gesagt hast. Und Text kommt eigentlich fast immer erst zum Schluss drauf. Und letztendlich nach dem Text wird das Stück dann arrangiert.
- Kluge
- Und Stichwort Finale. Was macht ihr, um so ein Finale einzuleiten?
- Einheit
- In dem Fall haben wir es mit dem Orchester gemacht. Der Text schwimmt da rüber in die Nacht, was Drogenabhängigen ja meistens sehr nahe kommt, und dann fangen eben diese Orchesterfragmente an, und überholen sich und werden immer mehr, Schichten übereinander.
- Kluge
- Was macht ihr in dem Moment, die ihr da an der linken Seite sitzt, die beiden Werker?
- Einheit
- Letztendlich, die Dynamik steigert sich einfach. Man muss einfach mehr dagegen halten gegen das Orchester und muss lauter spielen.
- Kluge
- Und Bargeld, was macht der?
- Einheit
- Bargeld? Kreischt sich ab, wie es sich gehört.
- Kluge
- Steigert auch.
- Kluge
- Inzwischen seid ihr ja in der Welt einigermaßen diversifiziert und berühmt. Sao Paulo ist kein fremder Ort, Japan hatten wir vorhin schon. Gibt ja eigentlich lebhafte Welttätigkeit.
- Einheit
- Wir sind eigentlich dazu gezwungen worden, weil am Anfang es sehr, sehr schwierig gewesen ist für uns in Deutschland überhaupt einen Plattenvertrag zu kriegen oder auch in Deutschland zu spielen.
- Kluge
- Im ZDF sehe ich euch auch selten, möchte ich mal sagen, selbst das oder so. Kommt ihr da vor?
- Einheit
- Kommen mal in Aspekte vor.
- Kluge
- Aber es wird nur über euch geredet, also im Kulturmagazin. Aber ihr kommt nicht vor als …
- Einheit
- Als Abendunterhaltung kommen wir nicht vor. Schon im Theater eher. Und deswegen mussten wir halt auch den Umweg über England gehen, zum Beispiel. Da haben wir einen Plattenvertrag gekriegt, und da haben die Leute auch drüber geschrieben, und nachdem man da Anerkennung gefunden hatte, konnte man erst wieder in Deutschland spielen. Dass so ein bisschen breitere Akzeptanz in Deutschland hergestellt worden ist, das kam eigentlich erst, nachdem wir „Andi“ gemacht haben, nachdem plötzlich auch die Feuilletons dachten, sie hätten uns entdeckt, nachdem die Band schon sechs Jahre da war. Von daher, seit der Zeit gibt es eigentlich erst eine etwas größere Bekanntheit, dass wir auch vernünftig von leben können.
- Kluge
- Das ist auch der Punkt, wo ihr zum Theater gestoßen seid.
- Einheit
- Das war eine Zeit, in der wir uns fast aufgelöst hätten. Und da gab es dann plötzlich wieder ein neues Feindbild. Das war natürlich wunderbar, an dem man sich reiben konnte. Musste sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, sondern konnte Zadek den Kopf einschlagen, das war natürlich sehr schön.
- Kluge
- Das ist ja eigentlich eine eigenartige Entwicklung. Ihr seid ja ursprünglich sowas wie Underground. Und jetzt kommt ihr plötzlich in die Staatstheater rein. Einschließlich Heiner Müller, noch Akademie der Künste, kurz vor ihrer Abwicklung. Und das nimmst du doch richtig ernst. Kunst ist nichts, was du sagst, da muss man sofort Anti-Kunst machen. Ist das richtig?
- Einheit
- Das ist richtig. Mich hat sowieso Schauspiel immer sehr interessiert. Ich wollte eigentlich auch Schauspieler werden. Aber die Schauspielschule hat mich nicht genommen, also bin ich Musiker geworden.
- Kluge
- Du singst ja nicht.
- Einheit
- Kaum.
- Kluge
- Oper, ist das etwas, was dir …?
- Einheit
- Ich taste mich da im Moment rein.
- Kluge
- Also wenn die nicht singen würden, würdest du es schön finden.
- Einheit
- Das würde auf jeden Fall helfen.
- Kluge
- Aber sozusagen diese extremen Arten des Theaters. Die Oper ist ja ein Theater, das nicht realistisch ist. Das also alle schrillen Töne, auch leise Töne, Zwischentöne ermöglicht, die ja beim Theater immer durch den Realismus ein bisschen gedrückt werden. Das ist etwas, was dir läge.
- Text
- F.M. Einheit
- Einheit
- Ja, das würde mich schon sehr interessieren. Im Moment lerne ich einfach, damit umzugehen im Theater. Das ist ein ständiger Lernprozess. Als wir angefangen haben, haben wir ziemlich bewusst in einem Pop-Umfeld gearbeitet, weil wir … wir haben uns immer dagegen gewehrt, dass man gesagt hat, ihr seid eine Avantgarde-Band, weil das hieß einfach, dass man in eine bestimmte Ecke gestellt werden kann. Ja, das sind halt die Künstler, die muss man nicht ernst nehmen, die haben nichts zu sagen. Deswegen haben wir am Anfang ziemlich bewusst immer in einem Pop-Umfeld gearbeitet, und haben auf Rock-Bühnen gespielt. Aber jetzt denken die Leute schon eher, wir sind eine Rockband. Also es ist Zeit, sich davon wieder zu lösen und in eine andere Richtung zu gehen.
- Kluge
- Also partisanenähnlich. Man darf nicht definiert werden.
- Einheit
- Auf keinen Fall.
- Kluge
- Wenn man mal jetzt die „Neubauten“ nimmt und sich die Umgebung ansieht. Was gibt es da für Verwandtschaften, was gibt es für andere Bands? „The Bad Seeds“, zum Beispiel, wie verhält sich das zu den „Einstürzenden Neubauten“?
- Einheit
- Ist eigentlich alles ziemlich verwoben.
- Kluge
- Verwandte. Ist ein Clan.
- Einheit
- Ja, ist ein Clan, das kann man schon so sagen. Ist auch teilweise so, dass Leute aus anderen Bands dann wieder für uns Licht machen oder den Ton machen. Es gibt einmal „Nick Cave & The Bad Seeds“, wo Blixa mitspielt. Dann gibt es „Crime & The City Solution“ – also bei Nick Cave sind das Australier zum größten Teil, bei „Crime & The City Solution“ auch. Da spielt unser Gitarrist mit. Wen gibt’s denn da noch? Dann gibt’s die „Rainbirds“ …
- Kluge
- Da spielst du auch mit?
- Einheit
- Die spielen bei mir mit. Ich hab, die CD, die ich gemacht hab mit Theatermusik, auch live vorgestellt. Und da haben die beiden Mädels halt mitgespielt. Wen gibt’s noch? Dann gibt es noch einen Produzenten aus Berlin, der heißt Voov, mit dem ich ziemlich viel zusammenarbeite.
- Kluge
- Wie heißt der?
- Einheit
- Voov.
- Kluge
- Voov. Voov von Freibank.
- Einheit
- Freibank ist der Verlag, den unser Bassist macht. Wir hatten irgendwann die Schnauze voll davon, immer das Geld an die GEMA abzuführen, und haben da eben neue Wege gefunden, wie man mehr Geld für sich selbst behalten kann.
- Kluge
- Und wie macht ihr das?
- Einheit
- Die GEMA kassiert ja von jeder Platte, die verkauft wird, ungefähr eine Mark. Dann behält sie es erstmal ein Jahr, legt es aufs Konto, lässt es ein bisschen wachsen. Behält dann glaub ich 20 Prozent, oder 15 Prozent Bearbeitungsgebühr, dann geht es an die Verlage, die halten es dann auch nochmal ein Jahr fest, und dann geht es irgendwann an den Künstler.
- Kluge
- Und wie macht ihr es?
- Einheit
- Wir machen das so: Diese Marken müssen die Plattenfirmen bezahlen an die GEMA. Und wir kassieren das direkt von den Plattenfirmen. Brauchen wir die GEMA dafür nicht. Da sparen wir eine Menge Geld.
- Text
- Katharina Franck, Rainbirds Text: Educacao
- Text
- Einstürzende Neubauten
- Text
- Klang Art Festival Osnabrück
- Kluge
- Wie kommst du zu deinem Namen, F.M. Einheit?
- Einheit
- Das hat zum einen damit zu tun, als ich angefangen habe, Musik zu machen, war das einzige Instrument, was ich hatte, ein Kurzwellenempfänger. Und da FM Frequency Modulation heißt, und das der amerikanische Ausdruck für UKW ist, kommt es eigentlich vom Radiogerät. Und es sind gleichzeitig die Initialen von meinen beiden Vornamen: Frank Martin.
- Kluge
- Und Einheit?
- Einheit
- Einheit ist einmal eine Einheit, also eine Radioeinheit …
- Kluge
- One unit … Aber nicht die deutsche Einheit?
- Einheit
- Die ist leider dazwischen gekommen. Hat meinen schönen Namen beschmutzt, die deutsche Einheit.
- Kluge
- Aber den Ausdruck gab es ja vorher auch schon.
- Einheit
- Das hat was damit zu tun, dass ich im Grunde genommen sehr ausgleichend wirke in Bands und mehr oder weniger die Leute zusammenhalte. Hat was damit zu tun. Es ist einmal eine Radioeinheit, und halt die Glucke, die dazwischen sitzt.
- Kluge
- Der Friedensstifter.
- Kluge
- Blixa Bargeld, wie kommt der zu seinem Namen?
- Einheit
- Baargeld war ja ein Dadaist. Und Blixa ist ein Firmenname für einen Kugelschreiber.
- Kluge
- Und das hat er sich kombiniert, so bekenntnisartig.
- Einheit
- Ja, weil, Baargeld steht da wahrscheinlich auch drauf.
- Kluge
- Und Alexander von Borsig? Warum nennt der sich Borsig?
- Einheit
- Weil sein Vater bei den Borsig-Werken gearbeitet hat. Obwohl sein eigentlicher Name viel schöner ist. Der heißt eigentlich Alexander Hacke. Er nennt sich jetzt auch nur noch Hacke.
- Kluge
- Nun seh ich da mit dir eine Frau, die singt portugiesisch. Wer ist das?
- Einheit
- Das ist die Katharina Franck von den „Rainbirds“. Wie ist das gekommen, gute Frage. Es gibt noch eine andere Gruppe, in der ich spiele …
- Kluge
- Sie spricht aber fließend Portugiesisch. Die kann das.
- Einheit
- Die ist in Portugal aufgewachsen. Die ist Deutsche, aber ist in Lissabon aufgewachsen.
- Kluge
- Was singt die?
- Einheit
- Das ist eigentlich eine lustige kleine Geschichte über Leute mit guten Manieren. An dem Tag, als sie das Stück gesungen hat, musste sie bei der Internationalen Funkausstellung auftreten, und da war sie halt schrecklich genervt von den ganzen Fernsehjungs, von den ganzen Popstars, und darum geht’s eigentlich in dem Text, dass sie sowas nicht mag, und dass sie eigentlich nur Bienen, Wölfe, und guterzogene junge Männer mag.
- Kluge
- Bienen, Wölfe, und guterzogene junge Männer …. davon erzählt sie.
- Einheit
- Das ist die Geschichte von dem Stück.
- Kluge
- Wie sieht so ein Tag aus, zum Beispiel heute?
- Einheit
- Heute hat eigentlich eher etwas frustrierend angefangen. Gestern war ich in Köln auf ‘ner Musikmesse …
- Kluge
- Stehst du früh auf, stehst du spät auf?
- Einheit
- Heute musste ich sehr früh aufstehen, bin ich um sieben aufgestanden. Weil ich nämlich dachte, ich müsste um zehn Uhr in Bonn bei einer Bauprobe sein. Die Bauprobe ist auch in Bonn, da werde ich „Die Perser“ machen von Aischylos. Und das fängt jetzt grad an, die Proben, da ist Bauprobe, ich habe mit dem Regisseur noch nicht sehr viel geredet. Also das wollte ich eigentlich heute machen.
- Kluge
- Da gibt es auch wieder Musik.
- Einheit
- Da gibt es auch wieder Musik.
- Kluge
- Als Begleitung.
- Einheit
- Na, ich möchte es eigentlich dieses Mal so machen, dass die Schauspieler die Musik selbst machen.
- Kluge
- Du machst nur die Anleitung?
- Einheit
- Naja, ich werde schon auch ein paar Sachen dazu einspielen.
- Kluge
- Also wie Beethoven zu „Egmont“ von Goethe die Musik macht, so machen jetzt die „Einstürzenden Neubauten“ mit diesen Theaterstücken - die werden jetzt ausgerüstet mit eurer Musik.
- Einheit
- Ja. Wird auch Zeit, denk ich mir.
- Kluge
- Wird Zeit.
- Einheit
- Dann kam ich da halt an um neun, und dann stand aber auf dem Probenplan, die Bauprobe ist erst um zwei. Und da wir uns ja schon um vier verabredet hatten hier, musste ich das leider ausfallen lassen. Bin ich halt zum Flughafen gefahren. Hab einige Stunden warten müssen, vorher hab ich noch ein paar Platten gekauft. Dann bin ich nach München geflogen, hab mich ins Taxi gesetzt, und bin hier angekommen. Und seitdem reden wir eigentlich.
- Kluge
- Andere Stichprobe. Vorgestern, was war da?
- Einheit
- Vorgestern war ich zuhause, in meinem Studio, und hab mir Material angekuckt, was der Walter aufgenommen hat, und hab angefangen, das Konzert von der Giftgasfabrik zu bearbeiten. Ich hab erstmal den ganzen Ton überspielt. Dann hab ich angefangen, bestimmte Teile rauszunehmen und davon Samples zu machen. Samples machen heißt also verschiedene Teile aufnehmen, in digitaler Form festzuhalten, dass man sie immer wieder abrufen kann, verbeulen kann.
- Kluge
- Was ist das für eine Giftgasfabrik?
- Einheit
- Die ist in Hirschhagen, das ist bei Kassel. Der Walter hat mir das gezeigt, der war da schon öfter. Das ist ein riesiger Komplex, wie so eine kleine Siedlung.
- Kluge
- Der ist aus dem Zweiten Weltkrieg, oder?
- Einheit
- Ja.
- Kluge
- Wir waren ja glaub ich voll aufgerüstet für einen Gaskrieg.
- Einheit
- Die Deutschen waren immer gut in Giftgasangriffen. Kann man wohl sagen.
- Kluge
- Aber bewundernswert, dass der Zweite Weltkrieg ohne Gas ablief.
- Einheit
- Wirklich erstaunlich. Dafür hat es ja dann in Indochina ganz gut geklappt.
- Kluge
- Und was sieht man jetzt in so einer Giftgasfabrik?
- Einheit
- Das meiste ist überbaut worden, aber die Grundfesten stehen noch, die Leute haben einfach Häuser auf die Bunker draufgebaut. Und es gibt ein paar Bunker, die noch intakt sind. Wo zwar alles rausgerissen ist, aber die Bunker gibt es noch. Das war natürlich sehr inspirierend, da Musik zu machen. Damit konfrontiert zu werden. Dann habe ich eben angefangen, das Zeug zu bearbeiten im Studio. Was hab ich dann noch gemacht? Dann hab ich festgestellt, dass ich mir keinen Flug gebucht hatte für den nächsten Tag. Musst ich morgens wieder früh aufstehen, um noch einen Flug zu kriegen. Zwischendurch habe ich mit meiner Tochter gespielt.
- Kluge
- Wie alt ist die?
- Einheit
- Die ist jetzt fünf.
- Kluge
- Und wie alt bist du?
- Einheit
- Ich bin 32.
- Kluge
- 32 Jahre alt. Und wo geboren?
- Einheit
- In Dortmund.
- Kluge
- Wenn du mal ein bisschen beschreibst: In Dortmund geboren …
- Einheit
- In Dortmund bin ich geboren, bin in Bochum aufgewachsen, als eins von acht Kindern. Mein Vater war Architekt …
- Kluge
- Wie bist du jetzt zur Musik gekommen?
- Einheit
- Zur Musik bin ich eigentlich darüber gekommen, dass ich nicht Schauspieler werden konnte. Weil die Schauspielschule hat mich nicht genommen … ich hatte vorher auch schon Musik gemacht. Mich hat schon Musik immer sehr interessiert. Aber eigentlich wollte ich eine Schauspielausbildung machen und Schauspieler werden.
- Kluge
- Im Schauspielhaus bist du rumgelaufen.
- Einheit
- Ich habe mir sehr viele Sachen zu der Zeit angekuckt.
- Kluge
- Wie bist du jetzt zur Musik konkret gekommen?
- Einheit
- Ich habe eigentlich dann versucht, eine Form zu finden, Schauspiel und Musik zu verbinden. Nachdem das mit der Schauspielschule nicht geklappt hat, habe ich mir eben was anderes ausgedacht. Dann hab ich versucht, so eine Art Stück zu schreiben, das mit Musik zusammen funktioniert. Das war schon eine ganz schöne Idee halt, aber zu der Zeit hatte ich viel zu wenig Ahnung, wie man sowas macht, und das hat einfach nicht geklappt. Und dann gab es Punk, und dann habe ich angefangen, Punk-Musik zu machen.
- Kluge
- Wie triffst du jetzt die anderen von den „Einstürzenden Neubauten“? Wie bildet sich so eine Gruppe?
- Einheit
- Also ich glaube man kann Leute nicht suchen, man trifft sie einfach.
- Kluge
- Und wie hast du sie getroffen? Wenn du die ganze Truppe jetzt auch noch zusammenhältst.
- Text
- F.M. Einheit
- Einheit
- Ich bin erst ein Jahr später in die Band reingegangen. Ich hab sie in Hamburg getroffen. Die kamen aus Berlin, die „Neubauten“. Und zu der Zeit hab ich auch bei Konzertveranstaltungen mitgearbeitet. Und da hab ich sie halt gesehen. Sehr beeindruckend, sehr beeindruckendes Konzert. Und dann habe ich da drüber geschrieben für eine Musikzeitung. Und dann haben wir irgendwie Nächte lang zusammen geredet, und plötzlich war ich in der Band drin.
- Text
- ABWÄRTS (1980)
- Band-Mitglied
- Der hat eine einzige Angst, nämlich durch eine Rhythmusmaschine ersetzt zu werden. Der schreit immer jede Nacht ganz laut, irgendwann: Nein! Keine Rhythmusmaschine!
- Text
- F.M. Einheit
- Text
- ABWÄRTS (1980)
- Text
- „Stalingrad“
- Text
- F.M. Einheit / EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN / „Krach machen bis es Musik wird - -“