Der Rausschmiß von Verdun
Transkript: Der Rausschmiß von Verdun
- Text
- Gegen Schluß seines Lebens besuchte Heiner Müller Verdun. / Es ging um sein Drama “Gespenster am toten Mann” / Über die Beinhäuser und Totenmonumente von Verdun urteilte Müller: “Totenkitsch” / Müller wurde vom Bürgermeister ausgeladen / Sein Begleiter und Vertrauter Mark Lammert berichtet — Der Rausschmiß von Verdun: Letzter Besuch Heiner Müllers auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges –
- Alexander Kluge
- Sie waren mit ihm auch jetzt in Verdun: wenn Sie mir das mal beschreiben…
- Mark Lammert
- Naja …
- Kluge
- Was ist der Anlass?
- Lammert
- Das weiß ich bis heute nicht. Es gab wohl eine Einladung aus Verdun…
- Kluge
- Vom Theater dort?
- Lammert
- Vom Theater dort, aber das war, glaube ich, mehr ein Anlass. Also es gab dann sozusagen einen mit extremer Intensität betriebenen Wunsch das zu tun und…
- Kluge
- Ein Symbolort der Schlachtbank von 1916!
- Lammert
- Ja, es hing sicherlich auch damit zusammen, dass das Stück heißt “Gespenster am toten Mann” und der tote Mann ist ein Schlachtort in Verdun… Also jedenfalls Betriebsausflug, war natürlich die Lust nicht so groß.
- Kluge
- Man kommt dahin…
- Lammert
- Also meine Lust war nicht so groß. Es gab so einen inneren Widerstand noch, dahin zu fahren. Also, ich bin nicht so schlachtfeldbesessen, zumal man das so… Also es ist eine andere Erfahrung, aber ich kannte das aus der Sowjetunion, dass man immer auf irgendwelche Schlachtfelder geführt wurde…
- Kluge
- Denkmäler stehen…
- Lammert
- Ja, das auch, aber das wäre noch zu ertragen gewesen, aber ich fand Schlachtfelder immer nicht sehr phantasieanregend, also weil…
- Kluge
- Man sieht die Schlacht ja nicht!
- Lammert
- Man sieht die Schlacht nicht und man kann sich das durchaus vorstellen ohne den Ort zu sehen, was da konzentriert ist. Also ich zumindest noch nie - ich hab das auch nicht systematisch betrieben - noch nie ein Schlachtfeld…
- Kluge
- [unverständlich] Und er jetzt betreibt das?
- Lammert
- Er betreibt das und man fliegt dann dahin und…
- Kluge
- Was ist Verdun? Wie sieht das aus?
- Lammert
- Naja, wie so eine nordfranzösische Kleinstadt so aussieht, also von der Seite, von Luxemburg kommend: ein bisschen industriell, aber nicht so richtig neureich.
- Kluge
- In einer Ebene, in einem Tal, wie?
- Lammert
- Ja, so im Tal, ja. Also so, naja so eine Industriekreisstadt, also…
- Kluge
- Da kommen Sie jetzt ins Hotel?
- Lammert
- Ne! Wir kommen überhaupt nicht ins Hotel, sondern wir kommen zu einem Essen und dem Heiner ging es irgendwie nicht so gut, der hatte Schmerzen und, also war nicht so, war angegriffen…
- Kluge
- Das ist jetzt schon in der Phase, wo die Krankheit wieder zuschlägt, ja?
- Lammert
- Ja
- Kluge
- Also erst die Intensivstation, er geht nach Kalifornien, ja?
- Lammert
- Genau.
- Kluge
- …es kommt ein produktiver Ausbruch, ja? Und jetzt ist er wieder zurück und jetzt geht es ihm schlecht er kann nicht schlucken, es kommt wieder hoch…
- Lammert
- Also Stichworte “Kotzbrocken” oder so, nicht? Und, dann gibt es also immer das gleiche Essen. Was als vornehm gilt: also gebratener Lachs oder gekochter Lachs, also irgendwas mit einer weißen Soße, dann ein bisschen Gemüse, Wein, was er sowieso nicht mochte. Also es war, so der Grundtenor war etwas dröge…
- Kluge
- Sein Magen ist jetzt oben an der Speiseröhre, ja? So wie sie es gezeichnet haben, ja? …ist die Speiseröhre eigentlich abgeschnitten, entfernt, sein Magen hochgezogen: er dient jetzt als Speiseröhre. Ein unheimlich empfindliches Gewebe, ja? Und das wird jetzt malträtiert mit dieser Art von offiziösem Essen.
- Lammert
- Ja. Und dadurch steigt natürlich der Whiskeykonsum. Er ist ja natürlich auch, es ist auch… in Frankreich natürlich noch besonders delikat, also wenn man ständig nach Whisky verlangt. Also den Wein ignoriert und nach Whisky verlangt. Muss man ja auch erstmal… ist ja eine andere Esskultur. Und ich glaube für die französische Esskultur hat er nicht so sehr viel übrig gehabt, also mehr so bayrisch oder so. Naja, also jedenfalls so. Also es geht das Witzeerzählen los. Also da…
- Kluge
- Abwehrfront…
- Lammert
- Abwehrfront. Und dann beginnt eben die Sightseeing-Nummer, also stiefeln. Und da gibt es natürlich diesen Berg in Verdun, diese Festung und die ist natürlich..
- Text
- Festung Douaumont / Verdun
- Lammert
- hat schon Pyramidendimension in der Hinsicht, dass da also - was weiß ich - 40…
- Kluge
- …und der Tote Mann.
- Lammert
- Der Tote Mann ist ja mehr so ein… Also diese Geschichte, also mit den Tunneln, also so 40 Tunnel untereinander oder so – weiß nicht ob 40, aber so eine ziemlich große Anzahl, die so untereinander liegen. Also man wird schon irgendwo sich bewusst, dass da ein Wahnsinn abgelaufen ist. Wusste man natürlich vorher auch, aber man… aber trotz alledem ist mir in Erinnerung haften geblieben eigentlich dass sie nur 15 Klos hatten für die 2.000 Leute, die sich da aufgehalten haben und mich hat… also als Bild ist mir hängengeblieben, dieser metallene Klodeckel, den sie also vor fünf Jahren wieder dort ausgegraben haben und der war ein prima Zeichen. Also das war das Erfreulichste bei der Besichtigung, weil das war nun wirklich wiederum…
- Kluge
- Hat die Industrie konkrete Produkte, Abfallprodukte der Rüstung, für Nebensächlichkeiten des industriellen Kriegsprozesses produziert.
- Lammert
- Also der metallene Klodeckel war schon irgendwie ganz gut. Also wenn Müller gesprochen hat, dann hat er von seinem Großvater erzählt,
- Text
- Großväter von Heiner Müller
- Lammert
- der da in der Nähe gelegen hat und den Großvater hat ja fast jeder: also so Erzählungen vom Großvater, die er, weil er wesentlich älter war, als Kind sozusagen ziemlich aufgenommen hat. Aber Grundtendenz war dröge, ne? Teilweise aber natürlich wiederum ein unheimlicher physischer Aufwand. Also es war nicht so ein, er kann halt nicht so oder so…
- Kluge
- Es wurde marschiert… Feldeinsatz
- Lammert
- Ja, und dann kam es auch so, wie es kommen musste. Also irgendwann war eine Lokalreporterin dabei, [wobei] offensichtlich Reporter auch immer was Vitalisierendes für ihn hatten, einfach erstmal so zur Kenntnis nehmen musste, also es war nicht so, dass er geneigt war die wegzuscheuchen, also einfach als Belästigung oder als in dem Moment nicht verkraftbar und dann…
- Kluge
- …hat er sich frei geäußert.
- Lammert
- Ja, aber natürlich auf der Basis von Englisch, mit einer nicht englisch sprechenden Journalistin und… Also das war eigentlich mehr so… da hatte man so das Gefühl von 20 klappernden Fotoapparaten, aber diese kleinen, also Kinderfotoapparate oder so. Das hatte irgendwie so - das ist jetzt absolut… wir haben darüber nie eine Auswertung oder so was… sondern das ist einfach jetzt: so hab ich das empfunden - und dann gab es so Situationen wie: wir haben dann so - ich hatte dann am nächsten Tag Geburtstag – und wir haben dann so, so… wusste aber keiner und hab ich auch erst ganz spät gesagt und wir haben dann so… also es war ein ganz ruhiger Abend und da wurde es sehr gelockert. Auf der Basis von Witzen, aber eigentlich mehr über die Dramaturgie, also wie erzählt man den Witz am besten.
- Text
- “Totenkitsch” / “Lego-Land der Toten”
- Kluge
- Und jetzt ist es aber so: In diesem Interview hat er schon mal diese ganzen Sachen erzählt, weswegen er ausgeladen wurde. Er ist ja richtig auf eine verletzende Weise, vom Oberbürgermeister von Verdun ausgeladen worden, weil er unziemliche Äußerungen gemacht hat über den Totenkitsch, ja?
- Lammert
- Ja, er hat eigentlich ganz andere Äußerungen gemacht. Also wir waren zum Beispiel in diesem Museum. Das Museum ist so… ja grauenvoll, ne? Im Grunde genommen grauenvoll…
- Kluge
- Grauenvoll weswegen?
- Lammert
- Weil man Grauen nicht vermitteln kann und das wird einem in so einem Museum einfach immer deutlich, das ist ganz einfach. Also vielleicht ist es gar nicht grauenvoll, sondern man merkt einfach nur…
- Kluge
- Durch Ausstellen toter Gegenstände werden die Toten nicht gegenwärtig und die Untoten auch nicht.
- Lammert
- …also mit einem Sandkastenspiel kann man das nicht vermitteln, also selbst wenn ein Sandkasten aufgebaut ist, da begreift man nicht. Und Müller war absolut höflich: er hat sich ins Gästebuch eingeschrieben und so, also… Und das Interview war einfach… Im Grunde genommen hat er eine Geschichte erzählt, wie er sich in Ostberlin… also wie Mitterand den Wunsch äußert also Stefan Heym, Christa Wolf und Heiner Müller zu sehen und es findet also so ein Treffen statt und das malt er aus - kann und möchte ich jetzt nicht - und dann gab es die einfache Frage: War das gut eben? Und da hab ich gesagt: ich fand es sehr eitel. Da sagt er: es ist vielleicht richtig hier, ne? Und dann kam die Geschichte mit der Westarchitektur. Das hängt aber nun wiederum mit einer ganz anderen Sache zusammen, dass wir - er hatte ja diese Bukarest-Erfahrung - …
- Kluge
- Bukarest-Erfahrung heißt? Da ist diese Ceaușescu-[Regime]
- Lammert
- Naja, das heißt… Bukarest ist ja, glaube ich, eine ganz merkwürdige Melange als Stadt. Also wo so, also byzantinische, italienische, französische, bäuerliche Einflüsse und so zusammenkommen und ich kenne Bukarest ganz gut, weil ich da einen alten Maler als Freund habe und oft da war und ich war… im Sommer war ich immer in Montpellier gewesen, das kannte er auch irgendwie ganz gut und im Grunde genommen war das sozusagen die Denkmal gewordene Architektur aus beidem, also sowohl aus diesem Palast von Ceaușescu, und aus Montpellier und in Verdun sozusagen…
- Kluge
- Und die jetzt in Verdun, ja? Von französischen Architekten nach 1918, ja? Für diese Totenhäuser verwendet…
- Lammert
- Die findet man wahrscheinlich überall, also das ja hat mit Verdun erstmal gar nichts zu tun, sondern im Grunde genommen nur dass jetzt sozusagen wie so eine Art Legoland…
- Kluge
- Ein Legoland der Toten.
- Lammert
- Ja, irgendwie so was: Legoland der Toten, ja…
- Kluge
- Mit der festen Absicht, sich davon zu trennen, sie irgendwie doch auf diese Weise von sich zu kriegen und in Paris weiterzumachen. Die Maginot-Linie für die Aktualität, ja, die Totenbeinhäuser für die Toten, ja, und dann ist genug geschehen. Und das fand er, das hat er dann so mitgeteilt, ja…
- Lammert
- Naja, er hat einfach nur gesagt, er hat das eigentlich gar nicht auf Verdun bezogen, sondern er hat gesagt: also man kann keine Denkmäler machen, zumindest nicht solche. Es ist völlig legitim und völlig berechtigt, aber er findet sie nicht schön, aber es war im Prinzip ein Nebensatz…
- Kluge
- Es sind zwei Dinge: einerseits, er denkt es wirklich, da bin ich ganz sicher…
- Lammert
- Das ganz bestimmt, ja…
- Kluge
- …Zweitens er verbirgt’s nicht, weil Sie ihm die Sporen einsetzten und ihn doch verletzen. Er hat wohl mal zu Ihnen gesagt, Sie sollen unhöflich sein.
- Lammert
- Jaja, ne, ja, es war eine Aufforderung. Neige ich nicht so unbedingt , zur Unhöflichkeit, aber… Ich habe es auch wenig ausgereizt, aber zweimal schon und in Verdun so ein halbes Mal.
- Text
- “Presse-Echo als Lautsprecher”
- Kluge
- In Verdun selber war aber kein Knatsch mit den Behörden oder so etwas.
- Lammert
- Ne, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil…
- Kluge
- …sondern es ist sozusagen wie durch ein Vegrößerungs-, wie durch einen Lautsprecher dann, ja?
- Lammert
- Das Kuriose war, dass sie… wahrscheinlich das dort die Absicht herrschte ihn für etwas zu gewinnen, was irgendwann ‘97 oder ‘96 dort als Theaterfestival oder so weiter stattfand und für mich war das Verwunderliche - er hat über seinen Zustand keine Rede geführt -, dass das Programm also so straff durchgezogen wurde…
- Kluge
- …weil man sicher ist, dass er dann lebt…
- Lammert
- Naja, zumindest war… Man sah einfach - vielleicht auch nur, wenn man ihn kannte, das kann ich ja gar nicht beurteilen – man sah, dass da kein ganz Gesunder läuft, ne? Also ich meine das, was man auf der Straße auch sieht, also wenn man jemanden nicht kennt: also man sah, da läuft jemand, der da laufen will, aber der ist halt nicht…
- Kluge
- Aber mit größter Energie wurde hier jetzt sozusagen ein Stück von ihm, ja, zur Befestigung dieser Festivalidee eingemeindet. Was ist das für ein Stück gewesen, mit dem Gespenst am toten Mann?
- Lammert
- Ja das ist… Im Grunde genommen heißt ja dieses “Germania 3 - Gespenster am Toten Mann”, ne? Wie gesagt, der Höhepunkt der Reise war dann die Besichtigung des Toten Manns; da ist also nichts weiter zu sehen als ein großer Busch
- Text
- “Heiner Müller: Germania 3 - Gespenster am toten Mann” und ein übliches Denkmal, also aus der, so, ne… aus der Serie und der Rest war sozusagen Rückflug.
- Text
- Der Rausschmiß von Verdun: Letzter Besuch Heiner Müllers auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges –