Im Zeichen des Mars
Transkript: Im Zeichen des Mars
- Textband
- panzern= “Sich gegen etwas unempfindlich machen” PANZER = “Mit Panzerplatten und Kettenrädern versehener Kampfwagen”/ Musikmagazin mit Heiner Müller und den Death & Grind - Gruppen ABHORRENCE, ACROSTICHON, TOXAEMIA und DISGRACE
- Tafel
- IM ZEICHEN DES MARS Charakterpanzer und Bewegungskrieg - - “Gefrorene Wäsche \–” ABHORRENCE Desintegration of flesh “Das Hirn in seinem Knochenpanzer \-” “Weihnacht im Herzen, Angriff der Voraustruppen \-” (1941) Was fasziniert Dich an Panzern?
- Kluge
- Also auf der einen Seite hast du einen Traktor als Erfindung, einen Raupenschlepper und Ziehgerät, der kann im Gelände fahren und Gräben einebenen, er kann also mit der Erde auf einer spezifischen Weise umgehen und zweitens einen Schießstand, eine Artilleriestellung, die fahren kann. Und drittens: Panzer. Wenn Du mal die Komponenten, weißt Du…?
- Müller
- Das Problem ist: Warum bin ich so fasziniert davon? Also, eine Frage die ich mir selbst stelle. Warum fasziniert mich schon das Wort und die Vorstellung von Panzern.
- Kluge
- Und auch Arbeiter, die das bauen, die das ganz faszinieren kann.
- Müller
- Ja klar, von Arbeiter die das bauen ….ja, ja, klar. Und das hat sicher was zu tun - das ist jetzt vielleicht etwas zu viel Psychologie \-also mit einem Bedürfnis nach Panzerung, mit einem subjektiven Bedürfnis nach Panzerung. Deswegen ist es auch ein Traumbild, der Panzer.
- Kluge
- Deswegen wird es auch noch schwerer… Die ersten Panzer sind immer leicht.
- Müller
- Das andere ist die Geschwindigkeit, die inzwischen schon keine mehr ist, das ist klar, aber es war im zweiten Weltkrieg doch noch ein Bild für Geschwindigkeit.
- Kluge
- 60 \-80 Stundenkilometer konnte die fahren.
- Müller
- Ich selbst hab’ eigentlich nie direkt damit zu tun gehabt. Ich hatte eine militärische Ausbildung. Da war der Krieg aber schon \–ging aufs Ende zu. Und wir hatten nur einmal noch sogenannte Feindberührung, das waren sowjetische Panzer, aber schon auf dem Weg in die amerikanische Gefangenschaft eigentlich, weil unsere Offiziere wollten lieber von den Amerikanern verständlicherweise gefangengenommen werden als von den Russen, deswegen marschierten wir so von Wismar in Richtung Schwerin. Wir hatten Panzerfäuste und relativ alte Gewehre, es waren schon so norwegische Vorderlade fast.
- Kluge
- Könntest Du mit einer Panzerfaust schießen?
- Müller
- Das habe ich gelernt.
- Kluge
- Was ist eine Panzerfaust?
- Müller
- Du, wenn ich das noch wüßte. Ich habe das so verdrängt. Das ist das merkwürdige. Ich habe eine vollständige sogenannte Werwolf-Ausbildung gehabt auch. Wir haben auch mit Panzerfäusten geübt. Es war die Mutter des Molotow-Cocktails, eigentlich.
- Kluge
- Es war eine Kanone, ein Raketengeschütz.
- Müller
- Eine Kanone, ja klar.
- Kluge
- Du dürftest nicht in einer Rückstoßrichtung ..
- Müller
- Man lernte es relativ schnell. Es war relativ leicht zu handhaben. Aber ich kann es dir nicht beschreiben. Es ist so verdrängt.
- Kluge
- Hast du damit mal geschossen? Übungsschüsse?
- Müller
- Nur Übungsschüsse.
- Tafel
- Musik: ACROSTICHON Dehumanized
- Kluge
- Was ist Panzer? Schnelligkeit? Also, ein Rennwagen ist schnell, ja? Bernd Rosemeyer …
- Müller
- Es sind vielleicht drei Sachen: Geschwindigkeit, Schutz und Gefängnis. Du kennst diese Landservokabeln über die Panzer. Das waren ja auch von vornherein menschliche Konserven, die da drin saßen, immer mit der Aussicht da drin …
- Kluge
- zu braten.
- Müller
- Zu braten, ja. Weil es sind die drei Sachen: Geschwindigkeit, der Schutz, der gleichzeitig Gefängnis ist.
- Kluge
- Wenn du mal wieder zu Rom oder Shakespeare gehst. Wo gibt’s da so was ähnliches?
- Müller
- Coriolan. Coriolan ist ein Panzer.
- Kluge
- Ein Panzer - als Mann.
- Müller
- Ja, Ja.
- Kluge
- Es ist eigentlich fast der Feldherr und seine Leibgarde… und dann allerdings auch die Schildkröte, also die Schilde, die miteinander kombiniert werden, ergeben auch ein Panzer.
- Müller
- Aber das merkwürdige bei Coriolan ist ja zum Beispiel, womit der Brecht nicht klargekommen ist in seiner Bearbeitung. Weil er wollte auch was anders mit dem Stück. Er wollte ein Stalinstück schreiben eigentlich. Ein Stück über die Notwendigkeit und Überflüssigkeit des Helden, des Protagonisten. Das war sein Stalinbild. Also Stalin, diese schöne Definition von ihm, der verdiente Mörder des Volkes.
- Kluge
- Hat er es geschrieben, Brecht?
- Müller
- Nicht geschrieben. Nur gesagt. Aber es gibt, glaube ich, auch ein Notiz im Archiv. Und das war sehr ambivalent gemeint. Das “verdiente” meint er …
- Kluge
- “Verdient” meint er nicht ironisch?
- Müller
- Das meint er gar nicht ironisch. Mörder meinte er auch ganz ernst. Und bei Coriolan ist der merkwürdige Punkt, den er nicht fassen konnte, daß dieser Panzer Coriolan geknackt wird durch eine Rede seiner Mutter. Da ist natürlich was daran. Der Panzer - keine Frau hätte einen Panzer erfinden können. Das ist eine durchaus männliche Schutzbehauptung, der Panzer.
- Kluge
- Warum sagst du das?
- Müller
- Du, ich glaube nicht, daß, wenn es so was gibt, vielleicht gibt’s das noch gar nicht, aber Frauen brauchen keinen Panzer.
- Tafel
- Prototyp der Panzerwagen Little Willie (1916) Nachfolger von Little Willie “Mother” (1917) Deutsche Soldaten werden von russischen Tanks verfolgt (1944)
- Tafel
- Schwerer Tank (“Tiger”/ 1943)
- Musik
- TOXAEMIA Who Dies “Eisener Sarg” Testfahrt/ spezielle Radaufhängung/ “Rennwagen des Krieges” - (1928) Leichte Panzer Guderians überqueren eine Chaussee - (1938) Panzer “Mutter” (1917), mit Rädern, die das Steuern erleichtern sollen - Stalins Panzer von 1929 (Renaults) und die späteren T 34 mit den Dieselmotoren von 1944 - T 34
- Musik
- DISGRACE Debts of Gods MARE “Die triumphale Rückkehr der Tanks” (1917)
- Musik
- ABHORRENCE Pestilential Mists/ Holy Laws of Pain
- Textband
- panzern= “Sich gegen etwas unempfindlich machen” / PANZER = “Mit Panzerplatten und Kettenrädern versehener Kampfwagen”/ Musikmagazin mit Heiner Müller und den Death & Grind - Gruppen ABHORRENCE, ACROSTICHON, TOXAEMIA und DISGRACE
- Tafel
- IM ZEICHEN DES MARS/ Charakterpanzer und Bewegungskrieg - - Heiner Müller zum 65.