Der letzte Mohikaner
Transkript: Der letzte Mohikaner
- Textband
- Che Guevara und der Protest / Fidel Castro und seine Republik / “Antibürokratische Revolutionäre” / Heiner Müller vergleicht Fidel Castro mit dem deutschen Rebellen Max Hölz –
- Tafel
- Der Letzte der Mohikaner –
- Castro
- Es ist mir bewußt, daß wenn ich nicht studiert hätte, ich keine wichtige Rolle in der Geschichte meines Vaterlandes gespielt hätte.
- Erzählerin
- Der Angriff auf die Militärdiktatur des kubanischen Generals Batista begann Ende November 1956. 82 bewaffnete Studenten waren im Südosten der Insel gelandet. Aber sie wurden ausgemacht und fast alle getötet. 12 überlebten. Unter ihnen Che Guevara und Fidel Castro. Der Kampf ging weiter.
- Castro
- Wir, die wir ohne Erfahrung anfingen, hatten am Ende genügend Erfahrung. Wir hatten einen Weg gefunden, um die Armee von Batista hereinzulegen und zu schlagen. Man kann sogar sagen, wir spielten mit der Armee von Batista. An diesem Tag, wo der Krieg zu Ende war, fühlte ich, daß etwas Merkwürdiges passiert war – sehr merkwürdig. Alles war zerfallen, alles war vorbei. Wir mußten alles Gelernte beiseite lassen und anfangen, auf der Grundlage der Revolution ein neues Land aufzubauen. Und es war mir bewußt, daß dies viel schwieriger war.
- Erzählerin
- Che Guevara, neben Fidel Castro Held der kubanischen Revolution, Märtyrer im bolivianischen Guerrillakrieg und Vorbild der 68er Studentenbewegung – die Zeit und die Distanz verklären.
- Castro
- Er hatte das Privileg der Antike, jung zu sterben, und so hinterließ er ein großes, ewiges Bild. Wir, die wir überlebt haben, haben dieses Privileg der ewigen Jugend nicht. Aber wir haben das Privileg der ewigen Überzeugung und der ewigen Festigkeit und ewigen Loyalität den Idealen gegenüber. Und so werden wir bis zur letzten Minute weiter machen. Die Beziehungen zwischen Che und uns, und Che Guevara und mir, glaube ich, waren immer beispielhaft. Von dem Moment an, wo er sich in unsere Armee einschrieb, bot er sich an, mit uns zu kämpfen. Er stellte nur eine einzige Bedingung, daß man ihm an dem Tag, an dem die kubanische Revolution siege, erlauben sollte, seinen Kampf fortzusetzen, zurück nach Südamerika zu gehen und dort für die Revolution zu kämpfen. Wir gaben ihm dieses Versprechen.
- Erzählerin
- Vielleicht war der Arzt Che Guevara mehr Abenteurer als Minister. Vielleicht aber war das Verhältnis zu Fidel Castro zerbrochen. Am 14. März 1965 verläßt Che Guevara Kuba mit unbekanntem Ziel.
- Kluge
- Hat die Zigarre, die du da rauchst, die alte Qualität?
- Müller
- Du, die Zigarre, die ich jetzt rauche, ist eine Davidoff. Und das waren die berühmtesten Zigarren der Welt neben den Havannas, aber die waren nur solange gut, als sie aus kubanischem Tabak bestanden, jetzt hat Davidoff im Rahmen des allgemeinen Kubaboykotts – die haben sich entschlossen, nur noch Tabak aus der Dominikanischen Republik zu verwenden, und seitdem sind sie schlecht.
- Kluge
- Jetzt rauchst du es mit Bedauern, ja?
- Müller
- Mit Bedauern, weil in allen großen Hotels gibt es nur noch die schlechten Davidoffs, keine kubanischen Zigarren mehr. Ich glaube schon, das ist eine internationale Verschwörung oder ein Teil der internationalen Verschwörung gegen Kuba.
- Kluge
- Da ist also ein Kartell im Gange gegen Kuba? Ja.
- Müller
- Das glaube ich schon.
- Kluge
- Um zu beweisen, daß die nicht überleben können.
- Müller
- Genau. Und, daß man auch ihre Zigarren nicht braucht.
- Kluge
- Das sind ja die letzten Legionäre… es gab ja so…
- Müller
- Es gab eine Anweisung von Kennedy, vor der oder am Beginn der Kubakrise hat er ich weiß nicht wie viel, hunderttausend, Havannas kaufen lassen für den Eigenbedarf des Weißen Hauses.
- Kluge
- Ach\!
- Müller
- Die wurden wirklich gekauft.
- Kluge
- Hat er das also als Kompensation gemacht, als aggressiver Angriff, oder?
- Müller
- Nein. Weil das waren die besten Zigarren.
- Kluge
- Das waren die besten Zigarren.
- Müller
- Und man wußte, danach gibt es den Boykott und keine kubanischen Zigarren mehr – also mußte man welche haben.
- Kluge
- Hat er sich noch mal gesichert, ja.
- Müller
- Hat er sich noch mal abgesichert, ja.
- Kluge
- Das war unideologisch.
- Müller
- Das war völlig unideologisch.
- Kluge
- Ja. Und jetzt ist sozusagen ein ideologischer Ausrottungskrieg im Gange um den letzten, also um das Selbstbewußtsein zu stürzen.
- Müller
- Ja, genau. Ich hörte neulich im KDW, die immer noch eine ganz gute Auswahl haben, auch an kubanischen Zigarren – daß jetzt ein großes Lieferproblem aufgetreten ist, weil die Kubaner haben kein Holz mehr für die Kisten. Das wird ein Problem jetzt. Sie können nicht ihre Wälder abholzen \–haben sie zum Teil-\- nur um…weil Zigarren sind ja Hauptexportartikel, und damit versucht man sie nun endgültig kaputt zu machen.
- Kluge
- Wie erklärst du die Stabilität, also die relative Stabilität von dem Fidel Castro und die Haltung der Kubaner? Die ja sozusagen in einer Vorpostenstellung, die ja ganz absurd ist, nicht, hier an einem Selbstbewußtsein festhalten.
- Müller
- Ja. Einmal ist es sicher so, daß die Kubaner haben ein Bein in Afrika – das ist ein halbafrikanisches Land, durch die schwarze und halbschwarze Bevölkerung. Und mir hat jemand erzählt in Havanna: als der Castro seine erste große Rede gehalten hat – ich weiß nicht, wie die das inszeniert haben, jedenfalls – setzte sich eine weiße Taube auf seine rechte Schulter, auf die Epauletten auf seiner rechten Schulter. Und das reicht für ein paar Jahrzehnte. Weil das war für alle diese afro-religiös motivierten Leute erst mal ein Zeichen.
- Kluge
- …für einen ist das der Heilige Geist, für den andern die Friedenstaube, ja, und so weiter, ja. Der Mann hat eine glückliche Ausstrahlung.
- Castro
- Alle die, die meine Reden lesen, während der gesamten Geschichte der Revolution, auch in der Phase des Idealismus, wo wir idealistische Fehler begangen haben, werden sehen, daß meine Gedanken näher an den Ideen Ches waren als an der orthodoxen Schule des Marxismus-Leninismus und den Büchern und Texten der sozialistischen Wirtschaftspolitik. Diese Bücher, die wir lasen und diskutierten, und die man zur Seite geschmissen hat, beweine ich nicht. Ich trauere nicht um den Tod dieser Texte, weil ich nie wirklich mit diesen Texten einverstanden war.
- Erzählerin
- Sechs Jahre lang hatte sich Che Guevara an der Seite Fidel Castros als Regierungsmitglied versucht. Dabei hatten sie US-amerikanische Ölraffinerien und Zuckerplantagen enteignet, sowie die Planwirtschaft durchgesetzt. Nachdem sich 1965 die Wege der Revolutionäre getrennt hatten, baute Fidel Castro weiterhin sein sozialistisches Kuba aus. Che Guevara ging nach Bolivien und gründete dort die Guerrillabewegung. Am Ende wurde der Partisan gefangen und schwer verletzt, am 9. Oktober 1967 von bolivianischen Regierungssoldaten ermordet.
- Texttafel
- Che Guevara
- Erzählerin
- So unterschiedlich die Temperamente von Che Guevara und Fidel Castro auch waren, eines verband sie. Beide übten eine ungeheure Anziehungskraft auf die sie umgebenden Menschen aus. Das ist auch heute noch die Stärke Fidel Castros.
- Castro
- Da kommen die Tische und Waschbecken hin. Und jetzt paßt auch besser der Kühlschrank hin.
- 1. Kubaner
- Den Kühlschrank stellen wir da hinten hin. Schauen Sie mal, Kommandante.
- 2. Kubaner
- Comandante, finden Sie es normal, daß Sie sich um all diese Kleinigkeiten kümmern?
- Castro
- Nein, aber ich mag das. Es ist nicht notwendig, aber mir gefällt es, selbst zu sehen wie die Sachen laufen.
- Erzählerin
- Das sinnliche Erlebnis, der Kontakt mit den Menschen, das hält den Kommandanten und, wie man sagt, den kubanischen Fidelismus am Leben.
- Castro
- Fahren wir zur Küche?
- Erzählerin
- Die Ernährungslage könnte sich in diesem Jahr zu einer Katastrophe ausweiten.
- Tafel
- Das einzige Land in der Welt ohne Analphabeten–\!
- Müller
- Der andere Punkt ist nämlich ganz primitiv, es ist das einzige Land ohne Analphabeten, und ist ein Paradies für Kinder – noch. Und ich glaube, es gibt kein Land in der dritten Welt, wo Kinder so gut aufgehoben sind und so umsorgt sind wie in Kuba. Solange sie es können.
- Kluge
- Wenn du einmal mir Castro und die Qualität dieses Regimes beschreibst – mit Lenin hat er ja kaum Ähnlichkeit, mit Stalin erst recht nicht, ja. An wen erinnert er dich? Spartakus wird zu weit gegriffen, ja. Es ist eine lateinamerikanische Variante des Spartakus-Dramas.
- Müller
- Du, mich würde er ja eher an Max Hölz erinnern, dann.
- Kluge
- Max Hölz?
- Müller
- Ja. Der Max Hölz war eine große Figur in dem Territorium so in Sachsen, Sachsen-Anhalt –
- Kluge
- Eisleben.
- Müller
- – es war so, eigentlich ist es das: Max Hölz war – ich erinnere mich, in meiner Kindheit noch gab es so reisende Buchhändler, die Fortsetzungsromane vertrieben, so, in den erzgebirgischen Dörfern, so Räuberromane, so Rinaldo Rinaldini oder Stülpner-Karl, diese berühmten Robin-Hood-Figuren, auch in Deutschland, die die Reichen überfielen und beklauten und beraubten, und den Armen das gaben.
- Kluge
- Davon hat er etwas.
- Müller
- Und, die reisten wirklich von Familie zu Familie, von Haus zu Haus, verkauften immer Fortsetzungen von diesen Romanen, und das wurde dann wieder abgeholt, in dem nächsten Monat kam die nächste Fortsetzung – und war ungeheuer billig. Aber das war eigentlich der Ort der Sozialromantik und Utopien, der Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft, was immer. Und so was ist der Castro natürlich – ein Robin Hood. Und dem verzeiht man dann auch, daß gelegentlich einer auch umgebracht wird. Das kann passieren bei Robin Hood.
- Kluge
- …was aber in größeren Mengen, also, irgendwie …
- Müller
- Im Wald sind die Verhältnisse nicht übersichtlich, und da bringt man auch mal den Falschen um, und so – das weiß man auch, aber letztlich wird es ihm doch verziehen – noch. Ein kritischer Punkt war, glaube ich, die Hinrichtung dieses Militärs vor einem, anderthalben Jahr, glaube ich, war das – der natürlich unter einer falschen Anklage … und …
- Kluge
- Falschen Anklage?
- Müller
- Ein Scheinargument. Und der war offenbar ein wirklicher Rivale von, ein potentieller Rivale von Castro-\- das war ein Krisenpunkt, glaube ich. Und er ist ja wegen Drogenhandel hingerichtet worden. Es war eine Geste für die USA. Aber eine sehr schiefe Geste.
- Kluge
- Und davon ist nichts wahr?
- Müller
- Und die ist dem Castro übel genommen worden. Vielleicht ist es wahr. Es ist wahrscheinlich wahr, aber wenn, dann hat er es gemacht für Kuba, nicht für sich.