Alles hat seinen Preis

Transkript: Alles hat seinen Preis

Alles hat seinen Preis. Hans Magnus Enzensberger über wissenschaftliche Intelligenz zwischen Manie und Teufelspakt

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Hans Magnus Enzensbergers neues Buch heißt DIE ELIXIERE DER WISSENSCHAFT / Es geht um bürgerliche Charaktere und die Neigung der modernen Intelligenz, von den Elixieren des Teufels zu kosten –
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ALLES HAT SEINEN PREIS. Hans Magnus Enzensberger über wissenschaftliche Intelligenz zwischen Manie und Teufelspakt Text: Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831)
Alexander Kluge
Wenn man sich vorstellt so jemanden wie Hegel, der quasi singend, in schwäbischer Tonart, „in Einsamkeit und Freiheit“ seine Jugend erzieht. Oder einen Gelehrten, einen Physiker, im neunzehnten Jahrhundert nimmt, wie autonom er eigentlich innerhalb seines Bereichs ist – er lässt sich nur nur von einem andern Physiker etwas sagen – dann ist ja heute, in einer Dienstleistungsgesellschaft, die Intelligenz ganz anders verfasst.
Hans Magnus Enzensberger
Ja, was Gramsci den „organischen Intellektuellen“ nannte. Also der ist natürlich institutionell angesiedelt und auch von der Institution abhängig; und zunehmend, bei der Großforschung natürlich… auch die ökonomischen Abhängigkeiten nehmen zu. Ich meine heute, diese Biologen, haben alle Firmen; viele sind an die Börse gegangen mit ihren Firmen, haben Patente…
Kluge
Und ein Grundsatzreferat, also meinetwegen über Ethik, hält ja doch auf. Auf einem Kongress beispielsweise, auch wenn sie die Rüstung nehmen, die ja sehr intelligente Tätigkeiten…
Enzensberger
…ja, sicher…
Kluge
…Spitzen ausübt… Diese ganzen Stiftungen, Militärs, usw., die darin tätig sind, würden doch durch eine Grundsatzvorlesung, sagen wir mal von Böll, von Habermas oder sowas, sich aufgehalten fühlen.
Enzensberger
Ja, Behinderung. Das ist ja, im Grunde ist das Behinderung. Und solange das nur irgendwelche Kommissionen sind, oder irgendwelche Leitartikler, solange hat das gar keinen direkten Einfluss auf die Sache, sondern ich glaube, die Reaktionen der Gesellschaft kommen spät. Die werden spät kommen. Aber ich meine, wir haben am Beispiel der Kernenergie gesehen, dass das dann doch zu einer politischen Kraft wird, wo auch die angewandte Physik irgendwie davon Notiz nehmen muss. Wenn die Gesellschaft im Ganzen sich wehrt, dann hat das politische Kraft, aber das passiert nur mit Verzögerung, und auch nach dem Prinzip, “es muss erst schlimmer kommen, bevor da was geschieht”, natürlich.
Kluge
Aber diese autonome Tätigkeit der Intelligenz, die wir ererbt haben; die ja das Idol von achtzehnhundert ist…
Enzensberger
…jaja gut, das sind noch…
Kluge
…die ist gar nicht mehr so häufig.
Enzensberger
… na das sind die letzten Mohikaner, die so außerhalb dieser Weisungsgebundenheit seitens…
Kluge
Aber wenn ich als Dienstleister jetzt meine Intelligenz Fremden zur Verfügung stelle und verkaufe, kann ich sie trotzdem nicht so beherrschen, dass sich da nicht trotzdem Intelligenz sich durchsetzt.
Enzensberger
Ja, es kann ja etwas dabei herauskommen, was nicht im Sinn des Auftraggebers ist, ist ja ganz klar. Also zum Beispiel eben in der Biotechnologie mehren sich diejenigen Stimmen von Wissenschaftlern selbst, die sagen: so geht es nicht; nicht nur aus politischen oder ethischen sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen. Das heißt, die manische Phase stürzt irgendwann mal natürlich ab, wenn man sieht, an welche Grenzen man dabei stößt. Also, wie der Volksmund sagt, werden die Bäume auch nicht immer in den Himmel wachsen.
Kluge
Und außerdem, Elixiere der Wissenschaft, das ist ja wohl anspielend auf “Elixiere des Teufels”…
Enzensberger
Ja…
Kluge
…das heißt das Gegengift wird produziert, unfreiwillig…
Enzensberger
Ja gut, das haben die vielen Wissenschaftler natürlich gar nicht gemerkt, dass da auch eine tückische Anspielung drinsteckt. Und [es] ist ja eine gewisse Ambivalenz in so einem Projekt enthalten, weil auf der einen Seite eine geradezu leidenschaftliche Vorliebe für die Wissenschaft und gleichzeitig auch ein politischer Vorbehalt was die Folgen von Wissenschaft, von Forschung und Technologie betrifft, ist auch ein gewisser Vorbehalt drin. Das kann man im Großen darstellen, also gesellschaftlich; und man kann es sogar an der einzelnen Forscherperson manchmal festmachen, weil die ja selbst in Situationen geraten kann… Ich meine Leute wie Oppenheimer, das sind ja auch tragische Biografien, die dabei entstehen; jemand, auf den seine eigene Produktion zurückschlägt, auch psychologisch. Das ist sehr interessant, was da passiert. Der Preis… Das hat alles seinen Preis.
Kluge
Wie bei einem Teufelspakt…
Enzensberger
Ja, das ist soetwas.
Kluge
Und gleichzeitig ist aber etwas, wenn ich alles zusammennehme, wofür Sie sich interessieren, dann ist doch im Grunde… Sie studieren ja eigentlich den bürgerlichen Menschen. Und zwar auf eine wohlwollende Weise. Auf eine lustvolle Weise.
Enzensberger
Ja, sicher…
Kluge
Unsere Verwandten sind ja so…
Enzensberger
Ja.
Kluge
Und zwischen den Abenteuerlichen und den fast manisch Wahnsinnigen und dem guten Hausvater…
Enzensberger
…gibt es alles.
Kluge
…gibt es alles, und ist miteinander auch verwandt, diese Eigenschaften.
Enzensberger
Ja, oft in ein und derselben Person. Also das sind dann innere Ambivalenzen, Konflikte, die der in sich trägt; die auch dann außen existieren, aber auch in seinem eigenen Inneren. Und die dann in seiner Biographie Brüche erzeugen, Konflikte erzeugen, Enttäuschungen erzeugen, Katastrophen, Tragödien, aber auch diesen Flash. Der Erkenntnisflash, dieser Höhenflug, das ist auch etwas Tolles.
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Eine riskante Weiterentwicklung des homo sapiens
Kluge
Der “bürgerliche Mensch”, was ja als Phrase benutzt wurde um die Jahrhundertwende… “langweilig” als “bürgerlich”, also quasi als “spießig” bezeichnet… das ist völlig falsch.
Enzensberger
Das ist ganz falsch, natürlich.
Kluge
Es ist eine Weiterentwicklung des homo sapiens, auf eine riskante Weise…
Enzensberger
Es war eine interessante Klasse…
Kluge
Bauern haben ja nicht große Maschinen entwickelt.
Enzensberger [schütttelt den Kopf]
Gut, es liegt lange zurück. Natürlich bei der Erfindung des Ackerbaus war diese Produktivität dort angesiedelt. Es war ja eine der größten Revolutionen der Menschheit.
Kluge
So wie die großen Maschinen kommen… geht’s anders.
Enzensberger
Ja dann geht es anders zu.
Kluge
Jetzt gibt es hier einen Mann, den Sie beschrieben haben, in einem Gedicht. Sie haben sie ja alle bedichtet. Das ist Frederick Winslow Taylor.
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Frederick Winslow Taylor.
Enzensberger
Oh ja.
Kluge
Von Lenin bewundert. Der “Taylorist”. Was ist das für ein Mann? Sie beschreiben ihn wie einen Puritaner manchmal.
Enzensberger
Ja, war er auch. Auch da - also selbst auf dieser psychoanalytischen Ebene sehr kompliziert. Er war einerseits ein Puritaner, ein Versachlicher der Welt, ein Materialist, alles was man will. Und zugleich war er in seinen sexuellen Dimensionen äußerst gestört. In Frauenkleidern ist er aufgetaucht, der war Transvestit gewissermaßen – heimlich natürlich. Ganz heimlich.
Kluge
Er legte sich nachts auf ein Nagelbrett, damit er nicht als Träumer zusehr in seine sexuellen Fantasien entschwindet.
Enzensberger
Jaja, er musste ja seine Arbeit tun, und dazu musste er sich kasteien. Er musste einen Teil von sich selbst abschaffen, also bekämpfen, abschaffen, damit diese ganze Energie in diese Rationalisierung der Arbeit geht, wo er dann äußerst brutal auch war, also bis zum Sadismus gehende Vorschriften, der Arbeiter bloßes Werkzeug.
Kluge
Die einzelnen Eigenschaften werden zerlegt, analysiert, neu zusammengesetzt.
Enzensberger
Ja, natürlich. Das war in der historischen Phase der Fordismus, da beginnt das Fließband, das ist die Rationalisierung der Arbeit… Wo heute schon in der industriellen Produktion ganz andere Kriterien angewandt werden, weil man hat natürlich verstanden, dass es so nicht geht, weil es die Kreativität der Arbeitskraft lähmt auf die Dauer wenn man [sie] nur als Sache betrachtet. Also inzwischen hat man auch da dazugelernt. Der Kapitalismus lernt ja ständig dazu. Das ist einer der Gründe, warum er überlebt.
Text
Hans Magnus Enzensberger, Autor
Kluge
Aber das ist interessant, denn zunächst mal kommt ja ein ungeheurer Ausbruch an Produktivität zu Stande durch diese Arbeitskraft.
Enzensberger
Jaja sicher, die Erkenntnis. Er analysiert die Ergonomie, also sämtliche… Der Kraftaufwand des Menschen, der wird gewissermaßen zum ersten Mal wissenschaftlich bearbeitet [und] auseinandergenommen: was ist das? Was ist Arbeitskraft? Das ist seine Frage.
Kluge
Und da ist so, wenn man den Robinson und den Freitag nimmt: also ein Mann, wenn man im Kopf hat, der auf einer Insel ist, und nicht beobachtet werden kann, nicht koordiniert werden kann durch eine Polizei, und der jetzt an seinem Sklaven noch sein besseres Ich züchtet, ein Objekt. Wenn der Mensch sich selbst zum Objekt macht, dann entsteht zunächst einmal dieser Produkvititätsausbruch.
Enzensberger
Richtig, das sind alles “Freitage”, diese Arbeiter…
Kluge
…Selbstausbeutung.
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Sir Hiram Maxim, Erfinder des Maschinengewehrs - -
Kluge
Jetzt gibt es hier einen zweiten Mann, den sie beschrieben. Zur Erinnerung: ein Sir Hiram Maxim. Was hat der gemacht? 1840, 1916.
Enzensberger [rezitiert]

Auf dem Schulweg, im Straßengraben,

das Heulen des Tieffliegers, dann

Staubwölkchen, links, vorne, rechts,

lautlos, und erst hinterher

das Hämmern der Bordkanone.

Die Bewunderung hielt sich in Grenzen.

Später, viel später, taucht er auf

aus dem alten Lexikon. Ein Bauernjunge.

Die Farm in der Wildnis, heimgesucht

von den Bären. Das ist sehr lange her.

Mit vierzehn die Stellmacherlehre

16 Stunden am Tag, vier Dollar Monatslohn.

Schlug sich durch als Gelbgießer,

Boxer, Instrumentenmacher, schrie

Ein chronischer Erfinder bin ich!

Verbesserte Mausefallen, Lockenwickler

und baute ein pneumatisches Karussell.

Sein Dampfflugzeug, Kesselgewicht

1200 Pfund, drei Tonnen Speisewasser,

zerschellte am Eigengewicht.

Auch sein Kaffeersatz war kein Erfolg.

Erst die große Ausstellung in Paris,

eine Feerie aus Glühfäden und Bogenlampen,

brachte die Ehrenlegion und die Erleuchtung.

Drei Jahre später konnte der Prince of Wales

in den Kellergängen von Hatton Garden

ein präzises Wunder besichtigen

es lud, spannte, verriegelte, zog ab,

öffnete den Verschluß, warf die Hülse aus,

lud und spannte, immer wieder, von selbst,

und die Kadenz – fabelhaft! Die Kadenz

zehn Schuß pro Sekunde, Dauerfeuer.

Der Rückstoßlader! Das ist genial,

rief der Duke of Cambridge, nie wieder

wird der Krieg sein, was er gewesen ist!

Eine Waffe von unerhörter Eleganz.

Der Ritterschlag folgte postwendend.

Heute natürlich, wo diese Errungenschaft

auf jedem Schulhof zu haben ist,

fällt es schwer zu empfinden,

was er empfunden hat
die triebhafte Freude

eines bärtigen Säugetiers mit 270 Patenten.

Wir jedenfalls, hundert Jahre jünger als er,

lagen wie tot da am Straßenrand.

Enzensberger
Das ist die Geschichte des Maschinengewehrs.
Kluge
Das ist sozusagen der Stolz im Boxeraufstand,…
Enzensberger
…ja, natürlich…
Kluge
… bei der Eroberung Afrikas. Bei Kipling heißt es: We are we / And we have got / The Maxim gun /…
Kluge und Enzensberger [unisono]
And they have not.
Text
We are we /

And we have got /

The Maxim gun /

And they have not

Kluge
Das ist der ganze Unterschied…
Enzensberger
…das ist der Unterschied…
Kluge
…zwischen weiß und farbig.
Enzensberger
Ja, ja.
Kluge
Und das sind Sie zu Anfang, 1945.
Enzensberger
Ja, das ist so die Erinnerung, wie wir da beschossen wurden…
Kluge
…so war’s doch…
Enzensberger
…ja, ja, das war…
Kluge
…[unverständlich] konnten die. Und Infrarot und…
Enzensberger
Ja, ja, und später interessiert man sich: wo kommt das alles her? Was waren das für Leute?
Kluge
Das erste mechanische Maschinengewehr, das wirklich funktioniert hat…
Enzensberger
Das hat dann natürlich auch schon in den anderen Kriegen – im siebziger Krieg zum Beispiel war das auch ziemlich kriegsentscheidend, in den Kolonialkriegen ohnehin. Ja, das war ein Bauernjunge irgendwo da aus Amerika.
Text
Sie sind 1929 geboren?
Kluge
Sie sind 1929 geboren. Was würden Sie mit so einem Jahr anfangen, das Sie ja nicht gesehen haben, sozusagen, als Baby; aber es bedeutet doch etwas. Also ich, zu meinem Geburtsjahr…
Enzensberger
…fällt einem viel ein…
Kluge
…fällt einem viel ein.
Enzensberger
Jaja, Sicher. Und es ist eben – wissen Sie, es wird ja immer sehr viel von diesen Generationen gesprochen, das ist zum Teil schon in der Werbesprache: die Generation “X” oder die Generation “Golf” und so. Das ist ja alles Quatsch, denn ich mein in Wirklichkeit sind diese Geburtsjahre, bedeuten… die rahmen einen ein in historische Erfahrungen. Und Leute, die historische Erfahrungen miteinander teilen – wenn die Generation überhaupt einen Sinn hat, dann ist es der, das wir das gleiche am eigenen Leib erlebt haben einfach, und das haben andere nicht, also das unterscheidet uns von andern. Wenn Leute die heute… dieser Dreißigjährige, der in diesem langen Boom aufgewachsen ist und jetzt vielleicht plötzlich auf der Straße steht nachdem man ihn vor fünf Jahren noch teuer eingekauft hat, jetzt wird er rausgeschmissen, der versteht ja die Welt nicht, weil er keine Erfahrung hat. Er hat ja – die Krisenerfahrung kann er nicht haben, das kann man ihm ja auch gar nicht vorwerfen. Für ihn war es naturwüchsig – jedes Jahr ein bisschen mehr, jedes Jahr ein bisschen besser – war für ihn eine Selbstverständlichkeit…
Kluge
Jahrgänge…
Enzensberger
Dieses Erfahrungsproblem…
Text
Hans Magnus Enzensbergers neues Buch heißt DIE ELIXIERE DER WISSENSCHAFT / Es geht um bürgerliche Charaktere und die Neigung der modernen Intelligenz, von den Elixieren des Teufels zu kosten –